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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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weihrauchgeschwängerter Luft der «Duft der Ewigkeit» lag, wie sie es nannte. Als ich klein war, erinnere ich mich, hat sie das so zu mir gesagt. Wir saßen in der Ostermesse in der Kathedrale in der Rue Daru, und sie flüsterte mir zu: «Du musst riechen, riech, das ist der Duft der Ewigkeit.» Dass ich mit meiner winzigen Nase diesen Duft einatmen konnte, fand ich reichlich imponierend. Und zugleich unbeschreiblich schön.
     
    In jenem Sommer schickte sie mir einen Brief samt Foto, auf dem sie unter einer großen Lenin-Statue stand. Ich staunte nicht schlecht über das Motiv. Hatte sie ganz vergessen, dass die Bolschewiken, als sie an die Macht kamen, reihenweise christliche Kultstätten zerstört hatten? Ihr kam das anscheinend nicht komisch vor, die Klöster zu besichtigen, sich von ihren Gewölben bezaubern zu lassen, und dann hübsch lächelnd neben Lenin zu posieren. Sie wirkte so glücklich auf diesem Foto. So überglücklich, dass man sich schon ein bisschen Sorgen machte. Ich hatte mich gewundert, dass sie gleich nach Schuljahresabschluss gefahren war. Sie hätte ihre Reise schließlich auch ein bisschen später antreten können. Im September wäre alles billiger gewesen. Nichts zwang sie mehr, mit dem Strom der Arbeiterschaft zu schwimmen. Aber nein, sie musste auf der Stelle weg. Das war wie eine Flucht. Oder sie fürchtete sich vor etwas. Jedoch hätte ich beim besten Willen nicht sagen können, wovor. Davor, mit meinem Vater allein dazusitzen? Sie liebte ihn doch, das konnte es nicht sein. Aber sie würden fortan beide zu Hause sein, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Vorbei die Bankenkongresse. Vorbei die Polenfahrten mit den Zehntklässlern. Meine Mutter hatte diesen Moment herbeigesehnt, doch sie empfand es als beklemmend, ihn gemeinsam mit meinem Vater erleben zu müssen. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn er weiter gearbeitet hätte. Mein Vater hatte diese Möglichkeit ins Auge gefasst, aber der Vorstand hatte ihn letztlich nicht darum gebeten, länger zu bleiben. Er musste das Feld räumen. Die neue Generation war im Anzug. Die meiner Eltern konnte nun zu Hause bleiben.Das war nicht ganz leicht, das leuchtete mir ein. Und so hatte ich Achtung vor der Entscheidung meiner Mutter, unverzüglich nach Russland aufzubrechen. Sich Klöster anzusehen, eine Gegend dieser Welt zu durchstreifen, die auf die Vergangenheit fixiert ist. Ja, sie war genau dahin gefahren, wo die Zeit stillsteht.

10
Erinnerungen meiner Mutter
    Als sie an jenem Tag aus der Kirche kam, bemerkte sie einen jungen Mann, der buchstäblich auf sie zugestürzt kam. Die Angst, die sie in dem Moment spürte, sollte sie nie vergessen. Er marschierte festen Schrittes, der Wahnsinn stand ihm ins Gesicht geschrieben, auf seiner Stirn glitzerten einige Schweißperlen. Offenbar machte er Anstalten, sie anzusprechen, doch als er ihr dann gegenüberstand, vielleicht war ihm ja plötzlich bewusst geworden, von welch merkwürdigem Drang er erfasst worden war, wusste er nicht, was er sagen sollte. Einen Augenblick lang stand er da, wie erstarrt, ausdruckslos wie ein Gemälde moderner Kunst. Genau so war es, die Szene hatte etwas sehr Modernes. Nach einer Weile wollte meine Mutter sich aus der peinlichen Situation befreien. Da stieß er diesen Satz hervor: «Sie sind so schön, dass ich Sie nie mehr wiedersehen will.
»
Damit verschwand er so rasch, wie er auf der Bildfläche erschienen war.Meine Mutter sollte sich an diesen Auftritt noch erinnern, zum einen, weil er natürlich originell war, aber auch, weil sie sich keine Sekunde hätte träumen lassen, dass sie diesen Verrückten eines Tages heiraten würde. Fürs Erste dachte sie sich bloß: «Was für ein Riesenspinner.»[ ∗ ]
    ∗ Ich werde später Gelegenheit haben zu erzählen, wie die Geschichte weiterging. Wie der Zufall so spielte, dass sie sich einige Monate darauf wiedersahen. Und vor allem: Wie sie sich auf den sonderbaren Plan verständigten, gemeinsam ein Leben zu verbringen.

11
    Mir wurde bald klar, dass der erste Eindruck, den ich von meinem Chef gewonnen hatte, getäuscht hatte. Ich weiß nicht mehr, welcher Romancier geschrieben hat: «Gib nichts auf den ersten Eindruck, er stimmt meist.» Vielleicht war es Fitzgerald. Ja, Fitzgerald könnte es gewesen sein. Sagen wir, es war Fitzgerald. Obwohl das Zitat hier an dieser Stelle ja unbrauchbar ist. Dieser Mann mit dem feisten Lachen und einer bedrückenden Aura sollte jedenfalls eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Und
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