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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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Auto begann er dann allerdings doch, einige Anzeichen von Nervosität zu zeigen.
     
    Meine Großmutter schwieg unterwegs. Wenn man ihr eine Frage stellte, wiegte sie den Kopf hin und her oder begnügte sich mit einem Ja oder Nein. Ich saß hinten und sagte nichts. Ich war bei dem Theater, das mein Vater veranstaltete, nicht übermäßig hilfreich. Dieses Theater prophezeite eine rosige Zukunft. Mein Vater wiederholte unermüdlich, wie wundervoll alles sein würde: «Ach, du wirst sehen … das ist wirklich ein sehr gutes Heim … sie freuen sich total auf dich … und es gibt einen Filmklub … Du gehst doch gern ins Kino! Stimmt doch, dass du gern ins Kino gehst, hm? Und außerdem haben sie ein Fitnessstudio … das hat mich anfangs ein bisschen gewundert … aber du wirst sehen, das ist eine prima Sache … ich hab mich schon erkundigt … Ihr werft euch gegenseitig den Ball zu … und … dann wird noch Gedächtnistraining angeboten … hm … es gibt Konzerte … genau, das stand im Programm … Studenten des Konservatoriums treten regelmäßig bei Konzerten auf … Na gut, so kommen sie wenigstens nicht aus der Übung … aber das tut gut, so junge Leute zu hören … du gibst mir Bescheid, wenn die kommen, hm? Gib mir Bescheid, ich will mir das nämlich auch nicht entgehen lassen … Oh, du wirst dich da richtig wohlfühlen, Mama … du wirst dich da sehr wohlfühlen … o ja … wundervoll … Ist was? Ist dir zu heiß? Sollen wir anhalten? Soll ich das Fenster aufmachen? Die Klimaanlage runterdrehen? Du sagst es mir, wenn dir zu heiß ist, hm? Du sagst es? Soll ich Musik anmachen? … Okay, alles klar … Ich glaube, wir sind bald da … Normalerweise findet ein kleiner Begrüßungsumtrunk statt … Es gibt Punsch … Ich hab zu ihnen gesagt, du trinkst gern Punsch … da hab ichdoch nicht danebengelegen, hä? Du magst doch Punsch? … Ach, und ich hab vergessen, dir zu sagen, du hast Telefon in deinem Zimmer … du kannst mich anrufen, wann immer du willst … Auf jeden Fall werde ich dich anrufen heute Abend, um zu hören, ob alles in Ordnung ist … Na ja, aber vielleicht bist du dann gar nicht auf deinem Zimmer … vielleicht wirst du schon Freundschaften geschlossen haben … und ihr spielt Scrabble … Ja, genau … schau, du wirst Spielkameraden finden … ah, das ist doch prima! … Meiner Ansicht nach wirst du die alle in die Tasche stecken … bei den Wörtern mit dreifachem Buchstabenwert bist du extrem gut … und ich glaube, an der Rezeption gibt es noch jede Menge anderer Spiele, wenn du dir welche ausleihen magst … Und die Leiterin hat mir erzählt, dass ihr manchmal Ausflüge macht … Einmal sind sie sogar bei der Aufzeichnung von Wer wird Millionär? dabei gewesen … ach, das würde dir sicher auch gefallen! Hm? Das würde dir doch gefallen, oder? Du magst doch diese Sendung? Hm, die magst du doch? … Sieh da, das ist ja irre … da redet man und redet … und schon sind wir da … Na bitte, ein herrlicher Ort … echt total praktisch, man kann direkt vorm Haus parken … O ja … ganz nach meinem Geschmack, äußerst praktisch … ein weiterer Pluspunkt … So, da wären wir … Schön hier, oder?»
     
    Während der ganzen Fahrt hatte mein Vater nicht aufgehört zu reden. Als gelte es um jeden Preis, mit Worten jeglichen eigenständigen Gedanken abzuwürgen. Man durfte dem gesunden Menschenverstand kein Haarbreit lassen. Na gut, erhätte es sich vielleicht sparen können zu übertreiben und solche Sachen wie den Begrüßungsumtrunk hinzuzudichten. Bei der Ankunft im Altenheim waren zwar alle sehr nett zu meiner Großmutter, aber es fand nichts Außergewöhnliches statt. Es war nichts Besonderes geplant. Die Alten schauten sie groß an, und sie kamen mir ein gutes Stück älter als meine Großmutter vor. Entweder sah meine Großmutter noch so jung aus, oder die Leute hier gingen alle schon auf die hundert zu. Das war kein Altenheim in dem Sinne, dass sich Menschen im Alter aus dem Berufsleben zurückzogen und zur Ruhe setzten, das war ein Sterbeheim. Sind die Fäden ihrer Unabhängigkeit einmal aufgetrennt, werden sie in solche Betreuungsanstalten eingewiesen, und zwar dann, wenn sie sich kaum mehr gerade halten können. Ich sah eine Welt von entrückten Gesichtern, die dabei war, in den Tod überzugehen. Die letzten Augenblicke von Männern und Frauen, die dazu verdammt waren, noch ein bisschen weiterzuleben. Die Zahl der Pensionisten, die im Rollstuhl saßen, war erschreckend.
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