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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Autoren: Ralph Dutli
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wiedergutzumachen.
    Ma-Be, lauf zum Bauern, versuch es, nur noch einmal.
    Die Zeit der Tauschgeschäfte ist abgelaufen, nichts geht mehr, alles ging schief in diesem Juli, die Bauern wollten für Eier und Butter keine dieser Leinwände mehr sehen, auf denen die Welt nicht zu erkennen war vor lauter sich krümmenden Wegen, taumelnden, sich biegenden Bäumen, vor lauter braunem und blauem Schmutz, Schrammen und Striemen. Wo nichts der Welt zu gleichen schien, nicht einmal jetzt im Krieg, es sei denn, sie wäre schon untergegangen in einem letzten Zucken, in blindem Gezerre und Schmerz. Als einziges, tobendes Magengeschwür. Aber Eier und Butter und Milch waren Gold.
    Sie verstehen, es ist Krieg. Wir brauchen die Sachen jetzt selber.
    Dann geht Ma-Be hinunter und ruft in der Wohnung des Vermieters Doktor Ranvoisé in Chinon an, der zu allem Unglück in den Ferien ist in dieser Leere des Juli-Monats, oder zu Verwandten gefahren, weiter unten an der Loire, zur Nahrungsbeschaffung, jetzt wo keiner mehr von Ferien spricht. Sackmännerdasein. Beutelgut. Sein Vertreter kommt, Doktor Borri, wirft nur einen kurzen Blick auf den Maler, betastet leicht seinen Bauch und ordnet die Hospitalisierung an. Keine Zeit zu verlieren. Sie müssen nach Chinon, in die Klinik Saint-Michel. Die Diagnose kennt der Maler selber gut genug, seit Jahren gab es ihn zweifach: Soutine und das Magengeschwür. Seit Jahren hat er einen Doppelgänger, der ihn verhöhnt und quält. Einen schwarzen schmerzenden Schatten, der immer wieder über ihn herfällt.
    Gegen Ende des Nachmittags war die Ambulanz eingetroffen, der Maler war zurückgehumpelt ins Haus von Monsieur Gérard, der Senfwickel lag zusammengeknüllt neben der Matratze. An die Fahrt nach Chinon kann er sich nicht erinnern, der Schmerz hat wieder das Steuer übernommen, stopft den Körper hinein in eine viel zu enge Hülle, löscht alles, was nicht er selber ist.
    Der Fahrer hatte sich vorgestellt: Foucaul, Achille. Doch die Namen besagten nichts mehr. Er hatte das Gesicht von Monsieur Foucaul kaum gesehen, der die Tür taktvoll zuschlug und mit sicheren Händen am erhitzten Steuerrad nach Chinon fuhr in einem dieser alten Peugeots, die hier herumkrochen wie müde Julikäfer.
    Ankunft Klinik Saint-Michel. Bei der Aufnahme wurde »Soutine Charles« ins Viereck gesetzt, der richtige Vorname hatte so oft Scherereien und Nachfragen verursacht, lästige Buchstabierungen, Missverständnisse und Wiederholungen. Aber »Charles« war gut, er klang so unumstößlich und ungefragt von hier, der Name selber war ein Ausweispapier. Und er ließ sich verhüllend abkürzen, so dass jeder auf den gebräuchlichsten Vornamen verfiel.
    Ch. Ch. Ch.
    Aufnahme: Soutine Charles, 50 Jahre, Beruf: Kunstmaler,
artiste-peintre
, starke Schmerzen im ganzen Oberbauch, hinter das Brustbein ausstrahlend, bis in den Rücken, fiebrig. Dringend!
Urgence
. Eilt!
    Sie haben ihre falschen Papiere dabei, die Fernand Moulin, Tierarzt und Bürgermeister von Richelieu, bei der Präfektur in Tours hatte abstempeln lassen. Es gab dort einen Beamten, der ihm noch etwas schuldete. Und er hasste die Besatzer, war froh um jeden, den er ihnen mit gefälschten Papieren entreißen konnte. Also steht es jetzt da, unverrückbar, auf dem gelben Papier, das seine Identität bescheinigt: Soutine Charles.
    Wie er so mit zugepressten Augenlidern daliegt, die Gesichtszüge angespannt, könnte man ihn für eine ägyptische Mumie halten.
    Sein Zustand ist kritisch. Der Arzt will keine Zeit verlieren, die Operation muss sofort vorgenommen werden. Jetzt gleich, nicht bis morgen warten. Ist es nicht bereits viel zu spät? Der Durchbruch der Magenwand ist wahrscheinlich. Die innere Blutung ist nur das eine. Die größte Gefahr bei einer Perforation ist das Austreten von sauren Magensäften in die Bauchhöhle, was zu einer Bauchfellentzündung – Peritonitis, können Sie mir folgen, Madame? – führt, die ohne Therapie in aller Regel tödlich ist. Die innere Blutung ist nicht das Hauptproblem. Aber handeln müssen wir sofort. Resektion des Magens nach Billroth. Zweidrittel-Entfernung, durch Vagotomie ergänzt. Der Anteil des Vagusnervs, der für die Innervation des Magens zuständig ist, wird durchtrennt.
    Das Wort »durchtrennt« lässt sie aufschreien. Soutines schwarzer kreischender Engel entscheidet, dass er nicht in diesem Provinzkrankenhaus operiert werden soll, sondern in Paris. In der Stadt, wo es richtige Ärzte gab, nicht diese Kurpfuscher in ihren
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