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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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Wohnung von Lars dazugemietet. Es gab keine Probleme, jemandem in deiner Position macht man keine Probleme. Du hast der Bank verschwiegen, daß Lars tot ist. Du hast seine Unterschriften gefälscht und einen Mythos ins Leben gerufen. In den Unterlagen fandest du alle Informationen zu den Bankkonten, der Krankenkasse, den Versicherungen. Du hast seinen Job mit der Erklärung gekündigt, daß Lars sich um seine kranke Mutter kümmern wollte. Du hast alles getan, was nötig war, um Lars von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Und danach hast du alles getan, damit ihn niemand vergißt. So wurde Lars zu jemandem, der durch seine Abwesenheit anwesend blieb. Nicht verschollen, nicht verstorben, lebendig.
    An einem Morgen klingelte das Telefon, und du hast automatisch nach dem Hörer gegriffen. Es war ein Freund von Lars, und du wußtest nicht, warum er ausgerechnet dich anrief. Bevor du ihm die Frage stellen konntest, plauderte er schon los und fragte, wie denn Berlin in diesem lauen Winter aussehen würde. Da hast du erst begriffen, daß du nicht in deinem Bett lagst. Seit wann schlafe ich hier oben? Du wußtest es nicht. Nach einem Zögern hast du Lars’ Freund die richtigen Antworten gegeben. Er hat keinen Moment angezweifelt, mit wem er da sprach.
    Obwohl du Tribut zahltest, wurde dein Zustand nicht besser. Deine Augen wichen dir weiterhin aus. Du hast geheult, du hast auf den Spiegel eingeschlagen, bis Scherben in das Waschbecken fielen. Nichts half. Du hast Lars’ Wohnung belebt, als wäre es deine eigene. Dein Privatleben löste sich in nichts auf. Du hattest nur noch ein Ziel – Lars gerecht zu werden. Er sollte durch dich weiterleben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er dich gehen ließ. Vielleicht kann das keiner nachvollziehen, aber es hat dich so bis ins Markerschüttert, daß du dir nicht mehr in die Augen sehen konntest. Die Schuld war um dich herum allgegenwärtig.
    Werde ich verrückt ? Sollte ich einen Arzt aufsuchen?
    Du hast die Spiegel verhängt, auch in deiner eigenen Wohnung. Die Frauen fanden es spleenig, du hast ihnen von einem verstorbenen jüdischen Onkel erzählt, und sie haben sich gewundert, daß du nicht beschnitten warst.
    Wie lange wäre das gutgegangen? Wer weiß? Wie lange hättest du diese zwei Leben leben können? Ein Jahr? Länger? Die Entscheidung wurde dir abgenommen, als du das Oktavheft im Nachttisch entdeckt hast. Namen, eine Menge Namen. Zwei davon waren unterstrichen, zwei davon kanntest du. In diesem Moment hast du begriffen, was für eine Farce du lebtest. Und du wurdest wütend, wütend auf Lars, weil er dich nicht gehen ließ. Was wollte er noch von dir? Was konntest du ihm noch geben?
    Das Begreifen war wie ein klarer Schnitt durch deine Gedanken. Es lag an dir, alles richtig zu machen. Für die Balance zu sorgen. Ich gebe dir Fanni und Karl. Und du läßt mich gehen.
     
    Der Mann schlägt dir ins Gesicht. Deine Augen schnellen auf, du weißt nicht, wie lange du ohnmächtig warst. Der Mann sagt, du sollst dich konzentrieren. Er wiederholt sich. Eine ewige Litanei. Wer? Bist? Du? Du schüttelst den Kopf, du weißt nicht mehr, wer du bist. Er hebt den Hammer. Der Schatten seines Arms. Du drehst den Kopf weg und antwortest. Er versteht dich nicht, du hast geflüstert. Du flüsterst erneut. Leise. Erbrochenes fließt aus deinem Mund, du hustest. Der Mann stellt sich auf die Zehenspitzen. Näher. Sein Ohr ist nahe an deinem Mund. Jedes Wort ist wie ein Satz, als du sagst:
    – Ich werde dich umbringen.
    – Nein, das wirst du nicht, flüstert der Mann zurück. Und soll ich dir sagen, warum du mich nicht umbringen wirst? Weil ich nicht wirklich hier bin.
    – Doch, du bist hier, sagst du, und im selben Moment schnellen deine Beine hoch und schließen sich um den Rücken des Mannes. Du schreist, du schreist ihm ins Gesicht, denn dein Körper ist der pure Schmerz, als würden nicht nur dein gesamtes Gewicht, sondernauch deine Nerven an dem einen Nagel hängen, als würde es nichts anderes mehr geben als diesen verdammten Nagel in deinen verdammten Händen. Schrei ruhig, laß es raus, denn das hier ist vielleicht deine einzige Chance, also vermassel sie nicht, laß alles raus.
    Du hoffst, daß der Winkel richtig ist. Du spannst die Armmuskeln an, ein glühender Draht schabt dein Rückgrat hinauf, dein Hintern drückt gegen die Wand, der Mann wehrt sich gegen deine Umklammerung und schlägt wild mit dem Hammer um sich, aber es ist zu spät, es gibt einen Ruck, und der Nagel bleibt
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