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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany
Autoren: Patterson James
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geschlossenen Tür. Sie küsste mich auf die Wange und schüttelte den Kopf. Karl Friedkin stand ein Stück weiter entfernt auf dem Flur, den Kopf schmerzvoll gesenkt. »Karl war bei ihr, als es passierte«, erklärte MaryLouise.
    In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und eine Frau in weißer Uniform fragte mich, ob ich Jane sei. Sie stellte sich als die Neurologin meiner Mutter vor. »Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall«, erklärte sie vorsichtig. »Es
ist gestern Abend im Theater passiert. Sie hat nach Ihnen gefragt.«
    Ich nickte und versuchte, nicht zu weinen, sondern tapfer zu sein, so wie Vivienne es sicher von mir erwartete. Doch als ich das Zimmer betrat, zitterte ich am ganzen Körper.
    Mutter lag dort. Sie war blass, wirkte sehr klein und ganz und gar nicht wie sie selbst.
    Neben ihr stand Michael und hielt ihre Hand.

SECHSUNDSIEBZIG
    M ichael blickte mich an und nickte mir kaum merklich zu, bevor er den Mund zu einem verständnisvollen Lächeln verzog. »Hallo«, flüsterte er. »Komm, setz dich auf meinen Stuhl.«
    Ich nahm neben Viviennes Bett Platz. »Hallo, Mutter, ich bin’s, Jane, ich bin da.«
    Meine Mutter drehte den Kopf und blickte mir in die Augen. Sie atmete schwer. Ich dachte, sie versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort heraus, was vorher noch nie passiert war. Sie war nicht geschminkt, und ihre Haare waren unordentlich. Als ich ihr gewöhnliches Krankenhaushemd bemerkte, wurde mir klar, wie schlecht es um sie stand. Wäre sie auch nur annähernd sie selbst gewesen, hätte sie sich gegen dieses Ding gewehrt.
    Doch sie schien froh zu sein, mich zu sehen.
    Ich beugte mich näher zu ihr. »Was ist, Mutter? Was willst du sagen?«
    Â»Ich war hart zu dir, Jane-Herzchen«, begann sie schließlich mit leiser, sanfter Stimme. »Das weiß ich.« Dann begann sie zu weinen. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
    Â»Es ist in Ordnung. Es ist alles in Ordnung«, beruhigte ich sie.
    Â»Aber das habe ich getan, damit du stark wirst. Damit
du nicht so wirst wie ich. So kalt und hart und überheblich. So Vivienne Margaux. Das wäre doch furchtbar gewesen.«
    Â»Bitte sag nichts. Halte nur meine Hand, Mama.«
    Sie lächelte. »Ich mag es, wenn du Mama zu mir sagst.« Sie hatte mir gesagt, sie hasse es. Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Gott sei Dank, bist du auch nicht annähernd so wie ich, Jane-Herzchen. Du bist einfach nur klug. Deswegen wirst du noch erfolgreicher werden. Aber du wirst dabei immer freundlich bleiben. Du wirst Jane sein. Du tust die Dinge auf deine Art.«
    Dieses Eingeständnis entlockte mir die Tränen, die ich seit Jahren zurückgehalten hatte. »Ich dachte, ich wäre die reinste Enttäuschung für dich, weil ich nicht so war wie du.«
    Â»Oh, Jane-Herzchen. Nein, nein, nein. Nie. Soll ich dir was sagen?«
    Â»Was?«
    Â»Du bist der einzige Mensch, den ich je geliebt habe, der einzige. Du bist die Liebe meines Lebens.«
    Die Liebe ihres Lebens.
    Meine Augen brannten von den Tränen, meine Kehle und mein Brustkorb taten weh, doch meine Mutter strahlte Frieden aus. Und dann dachte ich: Das war’s jetzt? Nach all den Jahren, in denen sie Bühnenarbeiter und Sekretärinnen angeschrien und mit Investoren gekämpft hatte? Nach all den Jahren, in denen sie Hausmädchen, Chauffeure, Catering-Lieferanten und Dekorateure herumkommandiert hatte? Nach den Schränken voller Designerkleidern und Tausend-Dollar-Schuhen? Nach all den Reisen
nach Paris, London, Bangkok und Kairo? So endet also dieses Leben – eine zerbrechliche Frau in einem Krankenhausbett. Meine Mutter und ich. Am Ende vereint.
    Â»Komm näher, Jane-Herzchen«, bat sie. »Ich werde nicht beißen.« Sie grinste matt. »Wahrscheinlich nicht.«
    Unsere Gesichter berührten sich beinahe.
    Â»Ich muss dich noch um einen Gefallen bitten.«
    Â»Natürlich, Mutt… – Mama. Was möchtest du?«
    Â»Sorge, um alles auf der Welt, dafür, dass sie mich … in diesem neuen Galliano-Brokatkleid beerdigen. Nichts Schwarzes. Ich sehe furchtbar aus in Schwarz.«
    Ich musste lächeln. Bis zum Ende blieb sie Vivienne, immer ehrlich sich selbst gegenüber. »Das Galliano«, bestätigte ich. »Wird erledigt.«
    Â»Und noch eins, Jane.«
    Â»Ja?«
    Â»Zieh auf der Beerdigung auch nichts Schwarzes an. Schwarz lässt die
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