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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch
Autoren: Joseph Hayes
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er die ganze Welt gewänne und nähme Schaden an seiner Seele. Die Wurzel alles Übels, Bösen, erlösen –«
    Und, schwach, erschöpft und ausgehöhlt, wie er nun ist, weiß ich, daß er von mir noch immer seinen Tod fordert. Er besteht noch immer darauf, sogar jetzt noch.
    Aber ich habe nicht so viel durchgemacht, um ihn am Ende gewinnen zu lassen. Und während dschungelhafte Rachegefühle jeden Nerv kitzeln, weiß ich, daß ich sie bezwingen muß. Entschlossen senke ich den Arm mit dem Revolver.
    Wohin du auch abgleitest, Wilby, was du auch befürchtest, dieser Ausweg bleibt dir verschlossen. Auch ich glaube inzwischen, daß sogar die Hölle etwas ist und daß etwas besser ist als nichts – aber selbst wenn ich es nicht glaubte, würde ich dich nicht töten, jetzt nicht mehr. Ich werde es nicht tun, um meinetwillen, um Lydias und dieser Wohnung und unseres Lebens willen – und wegen des langsam zur Gewißheit werdenden Verdachtes, daß es nicht mehr nötig ist, dich zu töten, um die von dir ausgehende Bedrohung abzuwenden.
    Ob er mir alle oder einige dieser Gedanken vom Gesicht abliest, kann ich nicht ergründen. Aber ich sehe ihn nicken, als bestätige er etwas – seine Niederlage? Seine Miene ist wieder heiter, gelassen. Er setzt sich in Bewegung, mit diesen schon vorher beobachteten schwebenden Schritten, er verschwindet durch die Terrassentür.
    Diesmal eile ich ihm ohne Zögern nach. Jetzt nicht mehr, Wilby, du hattest deine Chance. Jetzt nicht, verdammt!
    Aber er klettert nicht auf die Balustrade. Er kniet, halb von mir abgewandt, mit angewinkelten Armen und gesenktem Kopf. Er murmelt vor sich hin, und ich versuche, im Türrahmen wartend, seine Worte zu entziffern. »Seele … kummervoll … zu Tode.« Sein Gesicht ist wieder tränenüberströmt, eine Stimme voll Qual und Angst. Dann scheint er zu lauschen. »Ich weiß, ich weiß.« Als höre er tatsächlich eine Stimme, die ihm etwas erklärt. Langsam steht er auf. »Ich werde mich erheben … zu meinem Vater … sagen … Vater, ich habe gesündigt … gegen den Himmel … vor dir …« Wieder lauscht er, während ich ihn nur anstarren kann, seltsamerweise ohne Erleichterung oder Entsetzen. Er nickt, traurig und resigniert, kommt langsam auf mich zu, stockt. »Weißt du, weißt du –« er flüstert gehetzt, seine Augen funkeln erregt, »wie es sein muß, wahr wird, Wahrheit beweisen, verreisen, weil Sünde nur mit Blut abgewaschen werden kann, Opfer, doppeltes Opfer verdreifacht, erlöst werden, bevor er in Zorn und Herrlichkeit hinabfährt –«
    Spricht er mit mir? Ich weiß es nicht.
    »Er hat mich nicht verlassen, er hat sich erinnert, in meinem Herzen bin ich frei, aber er liest meine Gedanken, er weiß, und deshalb kann ich nichts dafür, wenn die Menschen es merken –«
    Zweifel packt mich mit Macht. Hat er nun endgültig die Grenze überschritten, bin ich endlich vor ihm sicher? Sind Lydia sicher und Anne? Doch ich entsinne mich, wie er zuvor aus diesem kataleptischen Zustand wieder aufgetaucht ist und zum Angriff überging. Ich stecke die Waffe nicht fort, ich lasse ihn nicht aus den Augen. Falls er nun völlig übergeschnappt ist, brauche ich nur noch dafür zu sorgen, daß er in die richtigen Hände kommt. Doch selbst diese anständige und zivilisierte Regung ist zweitrangig. Zuerst muß ich ihn von hier fortschaffen. »Wiederum führte ihn … auf einen sehr hohen Berg …«
    Ich überlege fieberhaft, mit welcher Methode ich ihn zum Gehen bewegen kann, ohne seine Stimmung zu zerstören, ohne seinen Geist in die Gegenwart zurückzurufen –
    »… alle Reiche dieser Welt … alle Herrlichkeit –« Seine Augen fixieren mich glasig, durchdringen mich. Dann brüllt er unvermittelt auf: »Ich werde dich nicht anbeten! Du sollst nur Gott, deinen Herrn –« Noch lauter, mit vor Wildheit und Haß verzerrtem Gesicht: »Hebe dich hinweg, Satan!«
    Dann macht er abrupt kehrt und stellt sich wieder an die Balustrade, mit dem Rücken zu mir. Er hebt die Arme hoch, und seine rechte Hand hängt kraftlos herab. Dann breitet er die Arme aus. »Sie werden meiner spotten … mich foltern … mich anspucken … sie werden mich töten!«
    Jetzt erst erkenne ich, was er befürchtet: Er glaubt, er würde gekreuzigt. Er glaubt es und leidet unter der Gewißheit. Trotzdem liegt in seiner Stimme noch immer dieser exaltierte Jubel.
    Wie kann ich seinen Zustand für meine Zwecke nützen? Wie bekomme ich ihn nach unten, auf die Straße,
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