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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch
Autoren: Joseph Hayes
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Ein Schatten hinter einem Schatten. Wie lang soll ich noch warten, ehe ich etwas unternehme?
    Er wirbelt auf dem Absatz herum und kommt wieder zur Bar. Nun ist sein Gesicht ernst und nachdenklich. »Du … ich kann mich dir nicht verständlich machen.« Er spricht sehr vernünftig und in einem leisen, ernsthaften Ton. »Du mußt aber verstehen. Du bist der Anstifter, der Scharfrichter, du bist das Werkzeug seines Willens. Du hast die Macht, aber sie ist dir von ihm verliehen, du tust, was er bestimmt, wie ich, verstehst du?« Er beugt sich näher zu mir. Keine Tiefe in seinen Augen, nur ein flaches Glitzern. Beschwörend: »Du kannst's mir nicht ersparen, trotz deiner Empfindlichkeit, weil du tun mußt, was du tun mußt, auch wenn du mich liebst. Wie Abraham. Nur ein Doppelopfer wird –« Dann richtet er sich auf. »Ich bin unschuldig, doch muß ich bestraft werden. Das mußt du einsehen, du mußt die Tat begehen, nicht für das Böse, sondern –« Er bricht ab, und einen Moment lang flackert in seinen Augen die alte Verschlagenheit, die ihm zum Rückzug rät, fort aus meiner Reichweite. Er greift hinter sich und bringt ein gefaltetes Stück Papier zum Vorschein. »Hab' dir 'nen Brief-lieben-Brief geschrieben –« Er lächelt, legt die dunkel geschwollene Hand mit dem Brief auf die Bar. Der Spott in seinem Lächeln ist mit einer seltsamen Traurigkeit vermischt. »Jedes … Wort wahr.« Er lehnt sich herüber. »Liebe –«
    Ich strecke die Hand aus. »Geben Sie ihn her.« Ich spreche sanft, aber entschieden, wie mit einem Kind. »Wilby, geben Sie mir den Brief.« Das Lächeln wird breiter, bleibt aber leer.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Brief ist für deine Frau-Sau –«
    Wut packt mich. Verrückt oder nicht, Lydia wird er ihn nicht vorlesen. Verrückt oder nicht, er wird mich nicht dazu zwingen, ihn umzubringen.
    »Wilby –« aber hört er mich überhaupt? –, »Wilby, ich werde Ihnen nicht die schmutzige Arbeit abnehmen.«
    Er versteift sich. »Schmutzig?« Schockiert. »Seine Arbeit, nicht meine.« Dann mit einem Aufschrei: »Du hast keine Wahl! Du bist der Anstifter, Scharfrichter, du bist auserwählt, du –«
    Ich entschließe mich schnell. Meine Rechte schießt nach vorn, legt sich schwer auf seine, während der Schmerz durch meinen ganzen Körper rast. Seine Hand läßt den Brief nicht locker. Dann holt er mit dem anderen Arm aus und haut mit der Handkante auf meine Hand. Es schmerzt höllisch. Mein Griff lockert sich. Ich trete zurück. Ich weiß, was er will, aber damit kommt er nicht durch. Er wird nicht seinen Kopf durchsetzen und mir gleichzeitig mein Ende bereiten. Ich gedenke nicht, ihn in meinem Wohnzimmer abzuknallen. Nicht, wenn er so weit übergeschnappt ist, wie ich glaube.
    Als sich mein Blick klärt, steht er starr vor mir. Meinen Schuß abwartend? Gewappnet? Hoffnungsvoll?
    Mit einer Drehung des Handgelenks hole ich aus und schmettere den Lauf des Revolvers mit voller Wucht auf die Hand, die noch immer den Brief umschließt. Ich höre den knirschenden Aufprall, dann seinen durchdringenden Schrei. Seine Hand zuckt, öffnet sich, Blut spritzt, und das zusammengeknüllte Stück Papier liegt auf der Bar. Ich packe es. Dann beobachte ich, wie er mit einer einzigen Handbewegung Flaschen und Gläser von der Bar wischt. Ich höre das Klirren und sehe, wie er zurücktaumelt, die angeschlagene Hand in der linken Achselhöhle verbirgt, sich vor Schmerzen krümmt und brüllt, die Augen naß und leer.
    Und während er lauthals jault, stecke ich das Papier in die Tasche, hebe die Whiskyflasche auf, ehe der Rest auf den Teppich gelaufen ist, und gieße ein Glas voll. Er ist auf die Knie gesunken, sein Oberkörper schwankt hin und her, im Gleichtakt mit seinen Schreien.
    In diesem Augenblick entscheide ich mich. Ich empfinde herzzerreißendes Mitleid – aber kein Bedauern, keine Reue, über das, was ich getan habe und nun tun muß. Ich hole die beiden Zuckerwürfel aus der Tasche, lasse sie in das Whiskyglas fallen und marschiere – das Glas in der geschwollenen, pochenden Hand, die Waffe in der anderen – um die Bar herum zu ihm hin.
    Seine Jammerschreie sind in ein keuchendes Stöhnen übergegangen, und er sitzt mit geschlossenen Augen in der Hocke, den Kopf seitlich nach hinten geneigt, das Gesicht naß von Blut und Tränen.
    Behutsam stelle ich das Glas vor ihm auf den Boden und ziehe mich zurück. Wenn er sich wieder gegen mich wirft, werde ich dann schießen? »Trinken Sie etwas«,
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