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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute
Autoren: Jochen Till
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Schatz!«, sagte sie manchmal.
    Sensationell.
    Kelly trug ihre Haare ganz kurz. Wie ein Junge. Das haute mich bei Mädchen immer wieder um. Außerdem waren ihre Haare rot. Backsteinrot, um genau zu sein. Gibt es diese Farbe überhaupt? Backsteinrot? Farben haben immer so komische Namen. Phthaloblau. Elfenbeinschwarz. Alles Mumpitz. Jedenfalls würde Kelly vor einer Backsteinmauer aussehen, als ob sie keine Haare hätte.
    Oh Kelly, süße Kelly! Natürlich wusste sie nicht, dass ich in sie verliebt war. Ich hatte es ihr nie gesagt. Nur einmal, als ich sturzbetrunken war. »Kelly, ich liebe dich!«, hatte ich gelallt.
    »Ja, ich weiß, David«, hatte sie gesagt.
    Wie eine Mutter, die mit ihrem quengelnden Kind im Zoo spazieren geht. »Guck mal, Mami, Da! Ein Elefant!«
    »Ja, ich weiß, David.«
    Genau so. Sie nahm mich einfach nicht ernst. Betrunkene werden nie ernst genommen. Betrunkene und kleine Kinder im Zoo.
    Kelly war ein fröhliches Mädchen. Nicht aufgesetzt fröhlich, wie die meisten. Sie konnte über alles lachen. Immer. Außer wenn sich jemand neben seinen Stuhl setzte. Man musste sie einfach lieben. Zum Glück wusste das niemand außer mir. Bis jetzt hatte es kein anderer Junge ernsthaft bei ihr versucht. Gott sei Dank. Die meisten Jungen standen auf lange Haare. Lang und blond, wenn möglich. Das Barbie-Syndrom. Idioten.
    Drei Monate zuvor hatte es einer nur ansatzweise bei ihr versucht. Gott, war ich eifersüchtig! Er wollte sie unbedingt ins Kino einladen und sie war kurz davor Ja zu sagen. Das konnte ich nicht zulassen. In Kellys Anwesenheit provozierte ich den Kerl so lange mit Anspielungen auf seine doch recht fragwürdige Intelligenz, bis er mir eine reinschlug. Es gab nichts, was Kelly mehr hasste als körperliche Gewalt, und die Sache mit dem Kino war erledigt. Natürlich war sie auch sauer auf mich. Sie ließ mich zwei Tage lang um Verzeihung betteln. Dann lud ich sie ins Kino ein und alles war wieder gut. Sie war wirklich einmalig.
    Warum zur Hölle kam sie nicht endlich, um mich vor diesen scheißfröhlichen Abiturienten und der Traurigkeit zu retten?
    Zwei Jungs aus meinem Deutschkurs hatten sich mittlerweile zu mir auf eine Bank gesetzt. Ich rauchte eine nach der anderen und hörte mir ihr Abiturgeschwafel an. Wenigstens hatten sie eine volle Kiste Bier dabei. Ich bediente mich einfach, ohne großartig zu fragen. Morgens schon zu trinken war eigentlich nicht meine Sache, aber mit irgendwas musste ich mich ja beschäftigen.
    Es war jetzt ungefähr halb elf und ich hatte noch nichts gegessen. Wie immer. Vor zwölf Uhr mittags konnte ich keine feste Nahrung bei mir behalten. Fürs Frühstück blieb mir sowieso nie Zeit. Frühstück. Die wichtigste Mahlzeit des Tages. Blödsinn. Seit fünf Jahren hatte ich nicht mehr gefrühstückt und war immer noch am Leben.
    Morgens war keine gute Zeit zum Essen, geschweige denn für irgendetwas anderes. Außer Schule vielleicht. Und schlafen natürlich. Ich kam regelmäßig zu spät zum Unterricht, egal, ob zur ersten oder zur vierten Stunde. »’tschuldigung, verschlafen«, nuschelte ich immer und nach drei Wochen regte sich schon kein Lehrer mehr über meine Verspätungen auf.
    Dabei hatte ich eigentlich nie verschlafen, nicht richtig. Mein Wecker war mit einer von diesen Zehn-Minuten-Weiterschlaf-Tasten ausgestattet und dem konnte ich nie widerstehen. Wer erfindet eigentlich so einen Mist? Wenn der Wecker klingelt, ist es Zeit aufzustehen, nicht zehn Minuten weiterzuschlafen. Einmal hatte ich es fertiggebracht, diese verdammte Taste sechsmal zu drücken. Sechsmal in einer Stunde geweckt werden, um jeweils zehn Minuten weiterzuschlafen. Scheißtechnik.
    »Nimm dir ruhig noch eins, Sunshine«, sagte einer von den Jungs.
    Zwei hatte ich schon intus.
    »Ja, greif zu, Sunshine!«, sagte der andere. »Heute lassen wir die Sau raus! Aufs Abi! Endlich ist die ganze Scheiße vorbei.«
    Die beiden hielten mir ihre Bierflaschen zum Anstoßen vor die Nase. Was soll’s, dachte ich und stieß mit ihnen an. Aufs Abi. Ex oder Arschloch.
    Wer schon mal versucht hat, eine 0,5-Liter-Flasche lauwarmen Biers zu exen, kann ungefähr nachvollziehen, warum mir alles wieder aus dem Gesicht fiel. Kaum hatte ich die Flasche abgesetzt, kotzte ich los. Ich beugte mich nach vorn und kotzte, was das Zeug hielt. Es war nicht das erste Mal, dass mir so was passierte. Nicht weiter schlimm. Die Jungs war ich allerdings los. Sie waren sofort aufgesprungen und hatten sich und ihren Kasten
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