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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute
Autoren: Jochen Till
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wollt e … Ich wollte mein Leben retten. Ich habe es weggeworfen, weil mir kalt war und es nicht gepasst hat, und dann wollte ich es retten, weil ich es doch versprochen hatte.«
    »Er ist immer noch voll«, sagte mein Vater.
    Er stand hinter meiner Mutter und neben ihm stand meine Großmutter.
    »Oma! Wie geht es dir? Bist du noch sehr traurig wegen Käthchen?«
    »Nein, David. Es geht mir gut. Warum hast du bloß so viel getrunken?«
    »Habe ich das?«
    »3, 6 Promille«, sagte mein Vater. »Du hattest eine ordentliche Alkoholvergiftung.«
    »Bin ich deswegen hier?«
    »Natürlich. Was denkst du denn? Sie haben dir den Magen ausgepumpt.«
    Das erklärte allerdings einiges. Meinen rauen Hals, meinen hohlen Magen und vor allem meinen Indiana-Sunshine-und-die-Schlangen-der-Finsternis-Traum, der wohl doch keiner war. Ausgeburten der Hölle in Ku-Klux-Klan-ähnlichen Gewändern hatten mich auf einen Altar gefesselt und steckten mir immer wieder diese roten Teufelsschlangen in den Rachen, aber ich konnte mich erfolgreich dagegen wehren, indem ich Feuer nach ihnen spie. Da war wohl eine Entschuldigung fällig.
    »Wie lange muss ich hierbleiben?«, fragte ich.
    »Morgen kannst du wieder raus«, sagte mein Vater.
    »Und du wolltest dich wirklich nicht umbringen, mein Schatz?«
    »Nein, Mama. Wirklich nicht. Mach dir bitte keine Sorgen!«
    »Wir müssen jetzt gehen«, sagte mein Vater. »Wir kommen heute Nachmittag wieder. Ich hoffe, du denkst in dieser Zeit mal darüber nach, was du getan hast und was für einen Schrecken du uns eingejagt hast.«
    »Es tut mir leid.«
    »Das will ich auch hoffen. Bis später dann.«
    »Mach’s gut, mein Schatz«, sagte meine Mutter. »Alles wird gut.«
    »Sieh zu, dass du etwas Gescheites zu essen kriegst«, sagte meine Großmutter. »Damit du wieder zu Kräften kommst.«
    Als sie gegangen waren, versuchte ich mich an alles zu erinnern, was passiert war, aber viel kam nicht dabei heraus. Natürlich konnte ich mich an Kelly erinnern. Jede Einzelheit, die sie betraf, war immer noch allzu deutlich in mir, doch alles, was sonst noch geschehen war, blieb verschwommen.
    Ich wollte eine rauchen und blickte mich nach meiner Jacke um, als die Tür sich öffnete und eine Krankenschwester hereinschaute.
    »Herr Sonnenschein! Hier ist Besuch für Sie!«
    »Wer ist es?«, fragte ich, aber da war es schon zu spät.
    Kelly war bereits eingetreten.
    »Ich bin’s nur«, sagte sie.
    Verdammt! Was wollte sie denn noch von mir? Ich wollte sie nicht sehen, nie mehr. Sie war nicht mehr meine Kelly, süße Kelly. Sie war jetzt die Kelly eines anderen, eines Jungen ohne Nase. Sollte sie ihn doch besuchen gehen. Meine Kelly war am Abend zuvor gestorben. Auf Glei s 18 ganz am Ende des Bahnsteigs um Viertel vor sonst was.
    »Verschwinde!«, sagte ich.
    »David, bitte!«
    »Was willst du denn noch? Lass mich in Ruhe!«
    »Ich will mit dir reden. Du bist mir nämlich sehr wichtig, weißt du das?«
    »Liebst du mich?«
    Wie leicht mir diese Frage aller Fragen auf einmal fiel. Zwei Jahre lang hatte ich mich nie getraut und auf einmal war es kein Problem mehr.
    »Ja, abe r … verdammt!«, sagte Kelly. »Natürlich liebe ich dich! Aber nicht so, wie du es gerne hättest.«
    »Dann ist es keine Liebe.«
    »Können wir nicht einfach so weitermachen wie bisher? Als Freunde? Als sehr, sehr gute Freunde? Es war doch immer schön mit uns, oder?«
    »Für dich vielleicht. Du warst ja nicht in mich verliebt.«
    »Aber dafür kann ich doch nichts.«
    »Wer denn? Ist es etwa meine Schuld? Bin ich nicht gut genug oder nicht schön genug oder nicht stark genug oder was weiß ich, nach welchen Kriterien du dich verliebst.«
    »Es liegt auch nicht an dir. Ic h … ich habe keine Ahnung, woran es liegt. Es ist einfach so.«
    »Dann solltest du jetzt am besten auch einfach so gehen. Tu mir diesen einen Gefallen noch und geh jetzt, bitte!«
    »Du machst es dir wirklich verdammt einfach.«
    »Ich habe es mir lange genug schwer gemacht.«
    »Also gut, dann gehe ich eben. Wirst du mich anrufen?«
    »Sicher, irgendwann.«
    »David?«
    »Was ist denn noch?«
    »Du glaubst mir jetzt bestimmt nicht, wenn ich das sage, aber für mich wirst du immer ein Schatz bleiben. Mach’s gut, David!«
    Sie war gegangen und ein Teil von mir ging mit ihr. Alles war auf einmal so gottverdammt leer.
    Auf Wiedersehen, Kelly. Guten Morgen, Traurigkeit.

Der Autor über sich selbst
    Ich wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren. Als Schüler war ich nicht
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