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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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liebkosend und durch
sie hindurch flüsterten mir die Bäume köstlichen Trost
zu.
    Und nun war ich zurückgekehrt.
    Einmal blieb ich an einer Lichtung stehen, von der aus man einen
wunderschönen Blick auf die tief unten im Tal liegende Ruine der
Niederburg und den sich hinter ihr erhebenden trutzigen Turm der
Oberburg hat. Hier waren im Mittelalter zwei Herrschaftsbereiche
zusammengestoßen, was zu andauernden Spannungen und der
Errichtung der beiden Burgen geführt hatte, die, von der Lieser
getrennt, nur einen Steinwurf entfernt stehen. Manchmal hatte ich
Onkel Jakob und meine Mutter mit diesen Burgen verglichen. Und ich
war ein einfacher Landsknecht, der sich genau zwischen den beiden
Machtsphären befand und auf den siedend heißes Pech
herabgegossen wurde, was die Mächtigen für Liebe hielten.
Ich ging weiter.
    Als ich an die Abzweigung zum Burgweiher kam, entschied ich mich,
den Lieserpfad zu verlassen und hinab zu dem halbmondförmigen
Teich zu gehen. Er stand in keinerlei Verbindung zu den Burgen,
sondern lag in einiger Entfernung von ihnen, aber trotzdem wirkte er
genauso verzaubert wie die beiden Ruinen, was seinen Namen vollauf
rechtfertigte.
    Selten verirrte sich jemand nach hier unten. Ich umrundete den
stillen Weiher, aus dem manchmal ein Fisch auf der Jagd nach Insekten
an die Oberfläche hüpfte, und fühlte mich seltsam
geborgen in diesem schmalen Talkessel – als würden die
Bäume zu allen Seiten über mich wachen.
    Der Aufstieg indes war mühsam. Ich quälte mich den Berg
hoch, bis ich wieder an der Abzweigung stand, von der aus ich
hinuntergegangen war. Ich war in Schweiß gebadet und machte auf
einer Bank Rast, die sich auf einer kleinen Aussichtsplattform befand
und Pellenzkanzel hieß. Von hier aus hatte man einen
schönen Blick auf die Lieser, die wie eine schlafende Schlange
zwischen den Bergen lag. Das Grün der Bäume war noch
strahlend und voller Saft, während es in Köln bereits die
dunklere Stumpfheit des nahenden Sommers angenommen hatte. Es war
für mich wie die Verheißung eines Neuanfangs.
     
    * * *
     
    Als ich bereits wieder in der Burgstraße stand und die
Tür »meines« Hauses aufsperren wollte, wurde ich von
hinten angesprochen.
    »Hallo, junger Mann, wer sind Sie denn?«
    Ich drehte mich um und stand einer Frau um die vierzig
gegenüber. Sie trug eine Schürze und Pantoffeln und sah
mich neugierig und gleichzeitig vorsichtig an. Da bemerkte ich, dass
im Nebenhaus die Tür offen stand.
    »Ich bin Ihr neuer Nachbar«, sagte ich rasch.
    »Mein neuer Nachbar? Das wär’ ja zu schön, um
wahr zu sein. Jetzt mal im Ernst: Was machen Sie hier?«
    Also blieb mir nichts anderes übrig, als die ganze verworrene
Geschichte zu erzählen. Ich rechnete nicht damit, dass mir die
Frau glauben würde, aber ich erlebte eine Überraschung
– in mehr als nur einer Hinsicht.
    »Das wundert mich nicht«, sagte die Frau.
»Entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt
habe. Ich bin Erika Junk und bin… war in den letzten zwei Jahren
die Haushälterin Ihres Onkels. Wenn ich das Geld nicht dringend
gebraucht hätte… Sie wissen ja selbst bestimmt am besten,
was für ein komischer Kauz Ihr Onkel war. Manche Zimmer durfte
ich nie betreten. Den Raum mit seinen Büchern zum Beispiel. Als
ich mal einen Blick reingeworfen habe, ist er fuchsteufelswild
geworden. Und auch seine Kapelle nicht. Er hat doch eine
Privatkapelle, oder?«
    Ich nickte.
    Sie sagte triumphierend: »Also hatte ich doch Recht. Else
wollte mir nie glauben. Da wird sie aber staunen, wenn ich ihr das
erzähle. Sie müssen wissen, man munkelt so einiges
über diese Kapelle.« Sie winkte mich näher an sich
heran und flüsterte dann: »Unsere Häuser haben zwar
dicke, doppelte Wände, aber seine… seine Kapelle, also der
Raum, der mir an strengsten verboten war, liegt direkt neben unserem
Schlafzimmer. Normalerweise hat man ja nichts gehört, aber
manchmal… Ich sage Ihnen, meinem Egon und mir ist das Blut in
den Adern gefroren. Da drin ist es nicht mit rechten Dingen
zugegangen, das kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen. Als ich Ihren
Onkel mal auf diesen Lärm angesprochen habe, hat er mich nur
angeguckt, als wollte er mich sofort in die Hölle werfen, und er
hat keinen Ton dazu gesagt. Da habe ich es aufgegeben. Aber die
Geräusche kamen noch manchmal. Und in der letzten Zeit war er ja
ganz schön daneben. Man konnte richtig zusehen, wie er immer
merkwürdiger wurde. Und dann bin ich vor die verschlossene
Tür
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