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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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gekommen, das ist etwa einen Monat her. Er war einfach nicht
mehr da – oder hat nicht aufgemacht, wie ich zuerst geglaubt
habe. Na ja, er war manchmal für ein paar Tage verreist, ohne
mir vorher etwas davon zu sagen; also habe ich mir nichts dabei
gedacht. Aber das er sich umgebracht hat – das hätte ich
nie für möglich gehalten. Niemals! Aber wenn Sie es sagen,
wird es ja stimmen. Wenn ich das Else erzähle…«
Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf. »Herrje! Ich
habe ja noch den Wirsing für heute Abend auf dem Herd stehen!
Ich muss jetzt geben. Auf Wiedersehen und leben Sie sich gut
ein.« Sie drehte sich um und verschwand im Nachbarhaus. Zutiefst
verwirrt schloss ich die Tür auf und betrat die
schattenverklebte Diele.
    In dieser Nacht schlief ich schlecht. Frau Junks Informationen
nahmen mich wohl stärker mit, als ich vermutet hatte. Ich
wälzte mich in dem uralten Himmelbett aus beinahe schwarzer
Eiche hin und her, und sobald ich wieder einmal eingeschlafen war,
starrte mich Onkel Jakob mit rotglühenden Augen an und murmelte
lateinische Worte, die wie ein Fluch klangen – oder wie die
Litanei einer Schwarzen Messe.
     
    * * *
     
    Am folgenden Tag fühlte ich mich wie gerädert, was nach
dieser furchtbaren Nacht kein Wunder war. Ich holte mir beim
Bäcker und beim Metzger etwas zum Frühstück, fand noch
einen Rest Kaffee in der Küche und brühte ihn auf. Er
schmeckte fad und irgendwie merkwürdig. Langsam war es mir, als
sei das ganze Haus von etwas durchtränkt, das ich nicht benennen
konnte.
    Nach dem Frühstück betrat ich die Hauskapelle. Was war
hier geschehen? Was war der Grund für den Lärm, den Frau
Junk und ihr Mann gehört hatten? Mit kamen alte Geschichten
über schwarze Messen in den Sinn. Nein, das war unmöglich.
Nicht Onkel Jakob. Aber die Bücher…? Verstohlen – als
würde ich beobachtet und müsse meine Handlungen
rechtfertigen – suchte ich den Raum nach Indizien für
meinen furchtbaren Verdacht ab, fand aber keine. Offenbar hatte Onkel
Jakob hier höchstpersönlich aufgeräumt und für
Sauberkeit gesorgt – und das sehr gründlich.
    Ich betrachtete lange das bleiverglaste Fenster. Ganz oben in der
linken Ecke konnte ich die geflügelte Figur des heiligen Michael
erkennen; sie war so winzig, dass sie fast zur Bedeutungslosigkeit
verblasste. Die Darstellung wurde vollkommen von den in die
Hölle herabstürzenden Engeln beherrscht. Aber es waren
bereits keine Engel mehr; es waren Ausgeburten der Hölle –
Schöpfungen einer kranken Fantasie. Noch nie zuvor hatte ich
solche Monstren auf einem Bleiglasfenster gesehen. Die Scheiben
schienen recht neu zu sein; wer mochte sie geschaffen haben? Ich
verließ die Kapelle mit einem beklemmenden Gefühl in der
Magengegend und ging in die Bibliothek.
    Hier machte ich mich an eine eingehende Untersuchung des
Bestandes. Wie mir bereits am Vortag aufgefallen war, befanden sich
viele okkulte Werke unter den Büchern meines Onkels. Ich hatte
vor zwei Jahren einmal Nachforschungen über okkulte Literatur
getrieben, weil ich einen Hexenroman hatte schreiben wollen, der dann
leider – aus vielen unterschiedlichen Gründen – nie
zustande gekommen ist. Aber aufgrund dieser Nachforschungen waren mir
einige der in Leder oder Pergament gebundenen Bücher dem Titel
nach bekannt. Ich entdeckte die Disquisitiones Magicae des
Jesuiten Martin Anton Delrio in der berühmten – oder eher:
berüchtigten – Ausgabe Mainz 1603, das De Magorum
Daemonomania des französischen Rechtsgelehrten Jean Bodin,
den Tractatus de Confessionibus Maleficorum et Sagarum des
Trierer Weihbischofs Petrus Binsfeld in einer Ausgabe von 1604, den Sadducismus Triumphatus des englischen Gelehrten John Glanvil
und sogar ein Exemplar der Erstausgabe des unheimlichen The Magus von Francis Barrett (London 1801) mit den handkolorierten Tafeln
von Dämonenfratzen, die Barrett angeblich erschienen und daher
nach der Natur gezeichnet sind. Mir fielen Zauberbücher wie das Claviculae Salomonis oder das Heptameron in die
Hände -Ausgaben von unschätzbarem Wert, und auch das
Sechste und Siebte Buch Mosis fehlte nicht. Die Vorlieben meines
Onkels waren offensichtlich recht ausgefallener Art gewesen. Davon
hatte ich früher nie etwas mitbekommen und ich bezweifle, dass
meine Mutter etwas davon gewusst hat.
    Einen zweiten Schwerpunkt bildeten Werke über griechische,
römische und germanische Mythologie. Sie waren in ihrer Art
nicht so spektakulär wie die magischen Texte, doch
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