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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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der Ecke eine improvisierte
Küchenzeile, Herd, Spüle, ein paar Gläser auf der Kommode, zum Trocknen auf
einem Geschirrtuch. Zwei Stühle an einem Tisch gegenüber, in einer Glasflasche
frische Blumen. Meine Hände sind plötzlich eiskalt. Ich stecke den Schlüssel
ins Schloss, erst der dritte passt, es ist immer der Letzte, der passt. Zwei
Mal muss ich den Schlüssel drehen, bis die Tür aufspringt.
    OFT STEHT MEIN VATER abends
in der Wohnzimmertür. Meine Mutter sitzt am Tisch, sie schreibt Rezepte für die
Mittagessen, die sie an den nächsten Tagen in der Buchhandlung servieren will.
Ich rutsche das Treppengeländer im Flur herunter, manchmal schramme ich mir die
Knie auf, wenn ich zu schnell werde und nicht auf den Füßen landen kann. Er
müsse nochmal los, sagt mein Vater, seine rastlosen Augen suchen einen Punkt
zum Fixieren. Meine Mutter nickt ihm zu.
    Manchmal darf ich mitfahren zum Tennis, in die Hallen, in
denen der grüne Boden durch weiße Streifen Struktur bekommt, in denen es muffig
riecht, in denen mein Vater fast jeden mit Handschlag begrüßt. Meine Mutter
schaut uns nicht nach, wenn wir in das Auto steigen, ich mit meinem kleinen
Tennisschläger, er in kurzen Hosen.
    Mein Vater schiebt die Ballmaschine für mich aufs Feld und ich
versuche, gegen sie anzukommen, während er auf dem Platz nebenan seinen Gegner
in Grund und Boden spielt. Wenn ich meine Kraft verbraucht habe, setze ich mich
neben das Netz an den Rand des Feldes und sauge gierig Wasser aus einer
Plastikflasche. Vaters Bewegungen sind präzise, die Drehung des Arms beim
Aufschlag bis in den kleinen Finger hinein perfektioniert. Er gewinnt immer.
Nach dem Spiel schütteln sich die Männer die Hände und klopfen sich auf die
Schulter. Mein Vater spielt noch ein paar Bälle mit mir, er lupft sie übers
Netz, ich schicke sie ihm zurück.
    Mit rotem Kopf und zerzaustem Haar kommen wir nach Hause. Meine
Mutter stellt mich unter die Dusche, sie seift mich von oben bis unten ein,
wickelt mich in ein Handtuch und föhnt mir die Haare.
    Manchmal erlaubt es mir meine Mutter jedoch nicht. »Juno
hat morgen Schule«, sagt sie, »sie braucht ihren Schlaf.«
    Ich gehe ins Bett. In meinen Träumen höre ich das ploppende Geräusch
des Balls.
    Ich wache auf, wenn mein Vater zurückkommt und die Tür zu meinem
Zimmer öffnet. Er schiebt das Moskitonetz beiseite, das über mir hängt. Er
riecht nach Seife, ich greife nach seinem Haar, es ist weich und frisch
geföhnt. »Gute Nacht, Juno«, flüstert er. »Papa«, sage ich.
    Morgens gehe ich die Treppe zur Küche hinunter und muss
mich am Geländer festhalten, um nicht auf kleinen Pfützen auszurutschen. Die
Spur führt vom Arbeitszimmer zum Bad und die Treppe hinunter zur Haustür, zwei nasse
Handtücher liegen zerknüllt auf den Dielen. Ich stelle mir meinen Vater vor,
wie er nachts im Mondlicht Bahnen im Freibad schwimmt, vom Sprungturm springt
oder die Riesenrutsche herunterrutscht, wie er ausgehungert nach Hause kommt,
den Kühlschrank leer isst und im Arbeitszimmer einschläft, um meine Mutter
nicht zu wecken.
    Wenn meine Mutter die Handtücher weggeräumt und in die Waschmaschine
geworfen hat, geht sie in die Küche und rührt Kakao in die warme Milch, ich
schmiere ein Honigbrot. Ich frage, ob ich mal mitgehen könne, wenn mein Vater
nachts ins Freibad geht. »Wie kommst du denn auf Freibad?«, sagt meine Mutter.
»Er duscht, weil er nicht schlafen kann.«
    DAS ERSTE, WAS ICH HÖRE, als
ich das Haus betrete, sind Stimmen, ist Musik, aber ich sehe niemanden. Es sind
Fetzen, die ich höre, nichts Zusammenhängendes. Das kleine Transistorradio auf
der Küchenzeile rauscht, wenn ich einen Schritt nach vorne gehe, spielt Musik,
wenn ich nach rechts trete. Ein nackter Raum, den ich mit großen Schritten
durchschreite, der Boden wackelt, leere Weinflaschen klirren. Zwei Haufen
Wäsche, ein überquellender Aschenbecher. Schuhe für mehr als eine Person,
Sandalen mit Lederriemen, Sandalen mit dicker Bastsohle, Stoffschuhe, Turnschuhe,
Flip-Flops, ein Mädchen könnte hier wohnen, auch zwei Mädchen, oder ein Paar.
Ich drehe eine Runde. Aus dem Fenster kann ich das Haus gegenüber sehen, ein
Spiegelbild dieses Hauses, nur die Fensterläden in Altrosa statt Seegrün, und
der Apfelbaum davor trägt weder Blätter noch Früchte. Ich rüttle
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