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Sommernachtszauber (German Edition)

Sommernachtszauber (German Edition)

Titel: Sommernachtszauber (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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es auch nie laut und in der Öffentlichkeit zugeben, aber sie mochte die kitschig kolorierten Filme der Vierzigerjahre, in denen gesungen und getanzt wurde. Heute gab es das nur noch in Bollywood. Sie sah auf. Nach den Tunneln flog draußen Berlin vorbei, die große und unter ihrer grauen Tarnfarbe so lebendige Stadt.
    Als sie schließlich in der Kreuzbergstraße ankam, ging es ihr besser und schlechter zugleich. Besser, weil sie Zeit und Kilometer zwischen sich und die Volksbühne gebracht hatte und das bunte, bekannte Gewimmel von Kreuzberg sie schluckte. Schlechter, weil sie kein weiteres Vorsprechen hatte. Schöner Mist. Dann konnte sie sich für den Sommer einen Job als Kellnerin suchen. Oder wieder bei McDoof arbeiten und am Abend nach Fett und Fritten stinken. Für ihre Bewertung an der Schule war das ganz schlecht. Sich durchsetzen können stand immer ungeschrieben auf dem Stundenplan.
Wie soll sonst was aus euch werden?
Die Stimme ihrer Lehrerin verfolgte sie manchmal im Traum. Was, ja was?
    Caroline sah auf die Uhr. Himmel, wie spät es geworden war! Michi musste schon von der Schule daheim sein. Ob er am Schultor auf sie gewartet hatte? »Wenn ich es schaffe, dann hol ich dich ab«, hatte sie ihm versprochen.
    Im türkischen Laden an der Ecke kaufte sie Toast, Milch, Nutella, Okrabohnen und Hackfleisch. Das sollte für ein Abendessen genügen.
    Als sie die Haustür aufsperrte, war es kühl im Flur unter der hohen Stuckdecke, durch die sich Sprünge zogen. Es roch nach Staub und in den Ecken hingen Spinnweben. Auf der abgewetzten Fußmatte und dem Linoleumboden lag ein ganzer Stapel Wurfsendungen. Wie schon des Öfteren verteilte Caroline die Werbung gerecht in die Briefkästen, auf denen rot der Aufkleber
Bitte keine Reklame
prangte. Das waren genau die Spießer, die Michi erst das Ballspielen im Hinterhof verboten und dann seinen roten Ball mit den weißen Punkten abgestochen hatten.
    Ihr Blick glitt über das Schwarze Brett, an dem der Blockwart – einen anderen Namen verdiente Hausmeister Krusemann nicht – Neuigkeiten ausgehängt hatte oder die Bewohner alte Fahrräder und Sonstiges feilboten. Eine bunte Annonce links oben fing ihre Aufmerksamkeit ein.
    Nehme Näharbeiten jeder Art an – aus Alt mach Neu!
    Carolines Interesse schwand.
    Auf der ausgetretenen Holztreppe nahm sie zwei Stufen auf einmal, bis sie im fünften Stock ankam.
Fünffda Stock mitt Balkong,
hatte ihre Mutter früher immer stolz gesagt. Wenigstens gehörte die Wohnung ihnen. Ihr Vater hatte sie ihr und Michi vererbt. Sie schloss die Tür auf. In der Wohnung war es still.
    »Mama? Michi?«
    Keine Antwort. Caroline stieß die Tür zum Wohnzimmer auf. Der Fernseher war aus, und ihre Mutter schlief auf einem der Sofas, die den Raum so gut wie ausfüllten. Caroline schlich zu ihr und ging neben ihr in die Knie.
    »Mama?«, flüsterte sie. Das Gesicht ihrer Mutter sah so entspannt und fern der Wirklichkeit ganz anders aus. Die strenge Falte zwischen ihren Augenbrauen war sanfter und die sonst oft geröteten, müden Augen geschlossen. Ihre Haare, die so dunkel waren wie Carolines, waren strähnig und warfen Schatten auf ihre Stirn und Wangen. Caroline schnupperte sacht am Atem ihrer Mutter. Urgh. Wodka.
    Auf dem Sofatisch lag ein aufgerissener Brief. Absender: das Arbeitsamt. Den konnte sie sich auch später noch ansehen. Sicher eine Absage oder wieder ein Vorschlag zur Umschulung. Was den Wodka-Atem erklärte. Verdammt. In Stresssituationen war ihrer Mutter immer noch nicht zu trauen.
    Caroline schlich in die Küche. Wo war Michi? Doch der kleine, enge Raum war leer und auf der Theke entdeckte sie keine verräterischen Spuren von Krümeln und verschmiertem Buttermesser. Nur die Tür zum Balkon auf den Innenhof stand offen.
    Carolines Herz klopfte schneller.
Schau nicht hin, Mädchen. Schau nicht hin!
    Sie war damals, vor fünf Jahren, von der Schule nach Hause gekommen und der Polizei und dem Notarzt direkt in die Arme gelaufen. Einer der Beamten hatte sie festgehalten und ihren Kopf gegen seine Brust gedrückt. Der Stoff seiner Uniformjacke kratzte sie noch heute an der Wange.
    »Michi?«, fragte sie schrill. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie auf den Balkon trat. Uff, da war er ja! Michi kauerte in der Ecke neben seinem Hasenstall.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Caroline strenger als notwendig – eigentlich war sie nur verdammt erleichtert.
    Michi sah auf. »Was klingst du denn so aufgeregt?«
    Sie zog ihn hoch und
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