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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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Wiedersehen, auf Wiedersehen, sagten sie zueinander. Sam half Sita mit ihren Koffern, denn sie fuhr nach Chicago, um ihr Herz zu heilen. Als der Letzte die Tür hinter sich abschloss, kehrte das alte Gefühl der Leere zurück. Natürlich war ich traurig, sie gehen zu hören, doch ein Ende ist eben unvermeidlich.
    Wie viel Zeit unseres Lebens verbringen wir damit, uns zu verabschieden oder auf jemanden zu warten, um ihn zu begrüßen? Mir graute nicht vor dem Alleinsein, noch freute ich mich darüber, dennoch genießt man lebhafte Gesellschaft, wenn sie sich ergibt. Es war gut, die Mädchen wiedergesehen zu haben. Nach so einer Nacht überwältigte mich die Müdigkeit, und es überraschte mich nicht sonderlich, dass Dunkelheit die Fenster füllte. Es würde mich auch nicht schockieren festzustellen, dass die Uhren wieder einmal acht Minuten vor fünf zeigten. Da der Kater meine Müdigkeit offenbar spürte, hob er den Kopf von seinem eingekringelten Körper. Er schien neugierig, was sich während seines Schläfchens ereignet hatte, aber auch nicht neugieriger als sonst. Er streckte sich, erst die Vorderbeine, dann den eingerollten Schwanz, und dehnte sich ausgiebig von den Pfoten bis zu den Hinterbeinen; so wachte Harpo langsam auf und miaute. Wieder einmal unergründlich, sprang er vom Bett und schlug mit dem Schwanz hin und her. Etwas schien ihn zurückzuhalten, und doch trieb es ihn fort. Mir wäre lieber gewesen, er bliebe, doch ich besann mich. »Geh nur«, sagte ich. Er huschte durch die Tür in den dunklen Flur. »Ich hoffe, nächstes Mal bist du ein Tiger«, sagte ich, doch vielleicht war er schon zu weit weg, um mich zu hören.
    Wo Sita gelegen hatte, war die Daunendecke zerdrückt und zerwühlt, und ihr Abdruck war zurückgeblieben. Mir kam der Gedanke, mich nur einen Augenblick dorthin zu legen, wo sie gelegen hatte, denn das Bett barg noch die warme Erinnerung an sie. Ich schlummerte ein Weilchen ein. Ich liebte sie vielleicht mehr, als ich es zu der Zeit ahnte, als es noch wichtig gewesen wäre. Hätte ich in jener Juninacht mit den Glühwürmchen nur ein bisschen Verstand besessen, hätte ich sie unter dem Blätterdach der großen Bäume geküsst oder ihr gesagt, wie aufregend ich es fand, einfach nur in ihrer Nähe zu sein, doch es war kaum etwas geschehen. Ab und zu streifte ihr Arm meinen, ich konnte beinahe ihre Haut schmecken. Ihr Haar glänzte unter der weihnachtlichen Lichterkette, die am Geländer der Veranda aufgehängt war. Sie duftete nach Kardamom und Honig. Es war der vollkommene Glücksrausch, und doch, und doch war ich nicht imstande, irgendetwas davon in Worte zu fassen. Und jetzt ist es zu spät. Sie tat mir gut, viel mehr als ich ihr.
    Ich liebte sie alle, auf meine Art, die Frauen, die aus der Vergangenheit zu mir gekommen waren: Dolly, leidenschaftlich und treu bis zum Schluss; Jane, die ich um Vergebung bitte; Alice, die mich verhexte; Marie, die köstliche; meinen Liebling Flo, mit dem ich reich wurde; meinen größten Fan, Adele; und Bunny, die das Tier in mir weckte. Jetzt erkenne ich, wie ich jeder von ihnen auf die eine oder andere Weise ein Leid angetan habe. Vielleicht werde ich es beim nächsten Mal richtig machen. Ich behaupte nicht, dass ich unschuldig bin, oder schiebe auch nur einer von ihnen die Schuld zu. Doch zugleich wundere ich mich, warum sie sich die Mühe machten, mich vor Gericht zu stellen. Ist es vielleicht möglich, dass auch sie mich liebten, dass sie kamen, weil ich ihnen fehlte und sie noch einen Tag mit mir zusammen sein wollten? Denn ich sehe jetzt, dass ich jahrhundertelang ein Lump war, aber nicht ohne eine gewisse Attraktivität. Und auch mein Bruder war immer ein bisschen ein Schlingel. Diese Gedanken geben mir Trost und Hoffnung.
    Gelegentlich wache ich am Morgen in genau der gleichen Position auf, in der ich eingeschlafen bin. Die Laken sind kaum zerknittert, das Kissen hat noch seine Form, und die Decke zeigt lediglich dort ein paar Knicke, wo sie vorm Hinlegen gefaltet war. Genau so habe ich nach dem Leichenschmaus geschlafen, als wäre das Bett entworfen worden, um meinen Körper und nichts anderes zu umschließen. Und die Dunkelheit kam über mich wie ein Deckel und gab mir das beruhigende Gefühl, dass ich in Sicherheit war und ruhen durfte. Mein dröhnender Kopfschmerz war verschwunden. Ein friedvoller Schlaf ohne Gedanken, Sorgen, Träume oder sonst etwas, das mich hätte wecken können.
    Vor Kurzem jedoch veränderte sich der Raum, und das
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