Sommerfrost - Die Arena-Thriller
Wange und schmeckte Blut im Mund. Sie musste sich auf die Lippen gebissen haben. »So was sagst du nicht noch mal, du kleines Miststück!«, fuhr er sie an. Er machte sich mit einer Hand an seinem Gürtel zu schaffen. »Zuerst willst du und dann willst du wieder nicht!« Oh Gott, schoss es Lyra durch den Kopf, nein . . . Denk nach, Lyra, denk nach, schrie es in ihr. Er hielt jetzt ihre beiden Handgelenke nur noch mit einer Hand fest. Sie musste versuchen, ihn zu provozieren. Leander musste sie noch einmal schlagen, dann müsste er sie für Sekunden loslassen. In dem Moment könnte sie sich ihm entwinden. Lyra holte Luft und schrie, so laut sie konnte: »Du Mörder! Du Monster! Mörder!« Der Schlag traf sie auf die Nasenwurzel, für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen. Der Schmerz drohte ihren Kopf zum Platzen zu bringen. Aber im selben Moment riss sie ihre freien Arme hoch, und während er zum zweiten Schlag ausholte, krachten ihre Fäuste unter sein Kinn. Für Sekundenbruchteile verlor er das Gleichgewicht und Lyra stieß mit Knie und Arm zu, sodass er zur Seite kippte und sie davonstürzen konnte. Leander rappelte sich wieder auf und machte einen langen Hechtsprung, bekam fast ihre Knöchel zu fassen, doch sie war um eine Tausendstelsekunde schneller, sodass er der Länge nach auf den Boden aufschlug, während sie davonrannte. Nur nicht stehen bleiben!, feuerte sie sich an, stolperte über Steine und Wurzeln, riss sich an Ästen und Baumstämmen blutig, rannte immer weiter in den Wald hinein. Den Weg hatte sie schon längst verlassen. Aus den Augenwinkeln sah sie ihn hinter sich herkommen. Nur ein kurzes Atemholen und er hätte sie wieder eingeholt. Durch ihre Nase fuhr ein höllischer Schmerz und Lyra stöhnte laut auf. Weiter, keuchte sie, weiter, ich darf nicht stehen bleiben! Sie rannte weiter und blieb abrupt stehen: Vor ihr erhob sich eine steile Felswand. Oh Gott, was sollte sie tun? Gleich wäre ihre Flucht zu Ende!
Lyrali, meine Lyrali.
Viola, das war Violas Stimme! Es war ihr egal, ob sie sie sich nur einbildete. Ihre Schwester war bei ihr.
Halt durch! Lauf weiter, klettere den Felsen hinauf!
Den Felsen? Wie soll ich da hinaufkommen?
Versuch’s, zieh dich hoch, los, Lyrali!
Sie kletterte auf den ersten Vorsprung und zog sich zum nächs ten hinauf. Hier fand sie eine schmale, schräg nach oben laufen de Rinne, von dort konnte sie einen großen Schritt nach oben machen. Sie sah hinunter. Leander war nur noch wenige Meter vom Felsen entfernt! Sie musste weiter! Wo war ein neuer Vor sprung? Sie tastete nach oben, bekam einen stabilen Halt zu fassen, setzte den rechten Fuß auf einen Tritt und zog sich weit nach oben. Oh Gott, Leander kam ihr schon nachgeklettert! Weiter Lyrali, weiter!, hörte sie die Stimme ihrer Schwester. Sie schaffte wieder ein ganzes Stück. Da hörte sie Leander unten fluchen. Sie wagte einen Blick hinunterzuwerfen. Leander stand auf einem schmalen Vorsprung und presste sich an die Felswand. Was war mit ihm? Warum blieb er dort stehen? Da durchfuhr es Lyra wie ein Blitz. Das entlaufene Kaninchen auf dem Dach des Gartenhauses...Jan litt unter Höhenangst! Das war der Grund, weshalb er nicht weiter konnte. Für einen Moment hätte sie beinahe gelacht. Doch dann sah sie zum Felsen hinauf und fragte sich, wie weit sie wohl käme. Und was sie tun würde, wenn sie ganz oben angekommen wäre. Sie hatte kein Handy, um Hilfe zu rufen. Sie hatte nichts zu essen und nichts zu trinken. Sie hatte noch nicht einmal ein T-Shirt an.
SIEBENUNDZWANZI G
W ie lange sie wohl hier auf dem Vorsprung warten könnte? Über ihr flog ein Vogel auf. Wenn sie doch nur Flügel hätte! Von unten hörte sie ein Geräusch. Leander kletterte weiter hi nauf! Er hatte wohl all seinen Mut zusammengenommen! Sie musste höher steigen. Glücklicherweise war die Felswand zer klüftet, sodass sie immer wieder einen Halt finden konnte. Ihr Kopf schmerzte von den Schlägen. Erst jetzt merkte sie, dass etwas Heißes aus ihrer Nase rann und auf ihren Fuß tropfte. Blut! Ihre Knie wurden weich und sie begann zu zittern. Reiß dich zusammen, Lyra! Da mischte sich eine andere Stimme in ihre Gedanken. Gib nicht auf, Lyrali! Klettere weiter. Los! Bleib nicht stehen!
Lyra tastete über sich und fand schließlich wieder einen Spalt. Ihre Finger waren aufgeschürft und brannten und ihre Arme hatten kaum noch Kraft. Doch wieder schaffte sie es einen halben, dann einen, dann zwei, drei Meter weiter. Vielleicht
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