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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest
Autoren: Frank Goosen
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Decke drüber. Charlie ist immer ein Küchenmensch gewesen.
    »Willst du ein Bier?«
    »Ich hatte schon ein paar.«
    »Aber eins geht noch, oder?«
    Ohne seine Antwort abzuwarten, nimmt sie zwei Flaschen aus dem Kühlschrank. Etwas versetzt drücken sie ihre Bügelverschlüsse und stoßen an.
    »Der Kleine schläft?« Bisschen Konversation. Ist nie verkehrt.
    »Schon lange.«
    »Ist sicher nicht leicht, so als alleinerziehende Mutter.«
    »Bei mir geht es noch. Ich bin selbstständig, zwar nicht komplett flexibel in meiner Zeiteinteilung, aber doch mehr als andere.«
    »Hat man nicht ständig Angst, dass so einem Kind was passiert?«
    Charlie spielt mit ihrem Ploppverschluss. Also mit dem ihrer Bierflasche. Stefan ist zu müde und zu betrunken für niveauvolle Gedanken.
    »Klar«, sagt Charlie. »Es laufen eine Menge Idioten dadraußen rum. Aber man kann sich davon nicht das Leben diktieren lassen.«
    »Das wär ja noch schöner!«
    Sie wirft ihm einen bösen Blick zu. Es ist noch zu früh für Scherze. Sie hat augenscheinlich noch nicht entschieden, ob sie ihn nicht doch rauswerfen soll.
    »Was hast du heute noch so getrieben?«, fragt er.
    »Bisschen gearbeitet«, sagt sie.
    »Woran?«
    Charlie seufzt. »Es geht um den Webauftritt einer Gartenbaufirma. Aber willst du das wirklich wissen?«
    »Natürlich.«
    »Du willst doch nur Schönwetter machen.«
    »Das auch.«
    Charlie denkt nach. »Ich weiß nicht, wie ich jetzt damit umgehen soll, dass du hier plötzlich aufgetaucht bist. Ein Teil von mir sagt sich, dass es am vernünftigsten wäre, dich wieder rauszuschmeißen.«
    Stefan hält die Klappe.
    »Du könntest doch auch im Haus deiner Eltern schlafen«, sagt Charlie.
    »Könnte ich«, antwortet Stefan und tastet nach dem Schlüssel in seiner Jackentasche, aber da ist keiner. »Oh, könnte ich nicht«, sagt er. »Der Schlüssel ist in der Tasche, die nach München fährt.«
    Jetzt muss Charlie dann doch grinsen. »Schön, dass sich manche Dinge niemals ändern.« Sie nimmt einen Schluck von ihrem Bier. »Willst du mal die Kneipe sehen?«
    »Die kenne ich doch.«
    »Aber vielleicht siehst du sie jetzt mit anderen Augen.«
    Also gehen sie mit den Flaschen in der Hand nach unten.

    Gegenüber der Haustür ist eine grau gestrichene Stahltür, die schließt Charlie auf, dann stehen sie in dem Gang, der vom Gastraum zu den Toiletten führt. Charlie drückt auf einen Schalter, und eine nackte Glühbirne erhellt notdürftig einen schmalen, bis auf halber Höhe mit Holz getäfelten Schlauch. Nach links geht es zu Herren und Damen, nach rechts durch eine Tür mit einem Fenster aus gelbem, pickeligem Glas in den Gastraum, was auch ein billiger Aufkleber auf dem Türrahmen genauso verkündet.
    Eine der Lampen über den Tischen funktioniert noch. Es ist staubig, wie von einer dünnen Schicht grauem Schnee bedeckt. Da sind die viereckigen Holztische, die gusseisernen Lampenschirme, der Stammtisch, auf dem noch immer der große Aschenbecher mit dem Bogengriff steht, der Tresen, die Vitrine, in der sich früher die Frikadellen feilboten. Es ist muffig. Sie gehen umher, und Stefan sieht sie an den Tischen sitzen: den Masurischen Hammer Willy Abromeit, seine Frau Paula, geborene Mehls, Omma Luise, Oppa Fritz, Hermann Ellbringe und Wolfgang Mehls, die Generationen der Deckers, der Zöllners und der Janowskis und Pieceks und Blohmes. Janowski, Piecek und Günther Blohme sind heute noch gar nicht vorgekommen, denkt er. Mutter Blohme hat einen Sohn im Krieg verloren und sich immer gewünscht, der andere, der Günther, wäre in Russland geblieben.
    Stefan denkt an den Film Feld der Träume, wo die toten Baseballspieler aus dem Mais treten und zu spielen beginnen. Er hat den Eindruck, wenn er sich umdreht, steht Willi Jebollek hinter ihm und will wissen, ob Stefan noch eine Fanta will. Im diffusen Licht meint er Schemen an den Tischen sitzen zu sehen und Bier trinken und knobeln unddiskutieren, und am Tresen liegen sich drei in den Armen und singen lautlos.
    Charlie schiebt die Türen zum Hinterzimmer auseinander, wo früher der Chor unter der Leitung von Erich Grothemann, dem alten Kommunisten, geprobt hat. Dieser Bereich wäre jetzt, nach Charlies Vorstellungen, Stefans Zuständigkeit.
    Ein guter Raum für eine kleine Bühne. Keine Sichtbehinderungen, achtzig bis hundert Leute dürften hier in Reihenbestuhlung Platz finden.
    »Bist du hergekommen, um mir zu sagen, dass du den Job willst?«, fragt Charlie.
    »Ich bin erst mal nur hier,
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