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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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irgendwie nicht richtig an.
    Kevin richtete sich auf, wartete darauf, daß der nächste Blitz die Nacht erhellte, und hob den halbautomatischen 45er Colt seines Vaters vom Kies auf. Der Griff war zerbrochen. Der Stahl war zerkratzt, und die kleine Kimme vorn sah auch nicht richtig aus.
    Kevin rieb das Blut weg, das ihm in die Augen floß, und blickte blinzelnd zu dem rund zwanzig Meter entfernten auslaufenden Tanklaster. Warum habe ich das mit Daddys Laster gemacht? Es schien nicht besonders wichtig zu sein, das jetzt zu beantworten; vielleicht später. Zuerst mußte er eine Flamme oder einen Funken erzeugen.
    Er drehte den 45er in den Händen herum, vergewisserte sich, daß der Lauf nicht mit Erde verstopft war, und wischte soviel Staub vom Stahl, wie er konnte. Den konnte er unmöglich in den Waffenschrank seines Vaters zurücklegen, ohne daß diesem auffiel, daß etwas damit nicht stimmte.
    Kevin hob die Waffe und ließ sie wieder sinken. War eine Patrone drin? Er glaubte es nicht; sein Vater mochte es nicht, eine geladene und gesicherte Waffe mitzunehmen, wenn sie zum Hart-ley's Pond zum Zielschießen gingen.
    Kevin klemmte die Waffe zwischen die Knie und zog den Schieber mit der linken Hand. Eine Patrone fiel heraus und rollte auf den Gehweg, noch eine schußbereite Patrone war drin. Verdammt. Er hatte eine eingelegt gehabt. Wie viele blieben jetzt noch? Mal sehen, ein Magazin mit sieben Schuß, minus dem einen... im Augenblick fiel Kevin das Rechnen zu schwer. Vielleicht später.
    Er nahm die Waffe in die linke Hand und zielte auf den Tanker. Die Blitze machten das Zielen irgendwie schwierig. Wenn du etwas nicht treffen kannst, das buchstäblich größer als ein Scheunentor ist, solltest du es lieber gar nicht erst versuchen. Aber er war ziemlich weit weg.
    Kevin wollte aufstehen, stellte aber fest, daß ihm dabei schwindlig wurde. Er setzte sich plumpsend wieder hin. Okay, er würde es von hier aus machen.
    Er dachte daran, den Sicherungshebel zurückzuschieben, dann zielte er, indem er stirnrunzelnd durch die Kimme sah. Erzeugte eine einschlagende Kugel einen Funken oder eine offene Flamme? Er konnte sich nicht erinnern. Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
    Der Rückstoß tat seinem unverletzten Handgelenk weh. Er ließ die Waffe sinken und sah den Tanklaster an. Keine Flamme. Kein Funke. Hatte er das verdammte Ding verfehlt? Er hob seinen zitternden Arm und feuerte noch zweimal. Nichts.
    Wie viele Kugeln hatte er noch? Zwei oder drei. Mindestens.
    Er visierte den Kreis aus Edelstahl sorgfältig an und drückte ab, wie sein Vater es ihm gezeigt hatte. Ein Geräusch war zu hören, als würde ein Klempnerhammer auf eine Kochplatte schlagen, und Kevin grinste triumphierend. Das Grinsen wurde zum Stirnrunzeln.
    Kein Feuer. Keine Flamme. Kein großer Knall.
    Wie viele Kugeln hatte er noch? Vielleicht sollte er das Magazin herausklappen, die Patronen herausnehmen und sie zählen. Nein, es war besser, wenn er die Messinghülsen zählte, die auf den Gehweg gefallen waren. Er sah zwei oder drei, die die ungestümen Blitze reflektierten, aber hatte er nicht mehr abgefeuert?
    Nun, er hatte mindestens noch eine Patrone übrig. Vielleicht zwei.
    Kevin hob seinen heftig zitternden Arm, feuerte noch einmal und wußte in dem Augenblick, als er abgedrückt hatte, er hatte wahrscheinlich so hoch geschossen, daß er die Fassade der Schule verfehlt hatte, ganz zu schweigen von dem Stahltank.
    Er versuchte sich zu erinnern, warum er das machte. Er kam nicht darauf, wußte aber, daß es wichtig war. Etwas mit seinen Freunden.
    Kevin wälzte sich auf den Bauch, stützte die Waffe auf das gebrochene Handgelenk und drückte ab, wobei er halb damit rechnete, daß der Hahn auf eine leere Kammer fallen würde.
    Der Rückstoß war zu spüren, ein Funke dicht unterhalb der Einfüllklappe zu sehen, und dann zündeten dreitausend Liter Benzin.
    Dr. Roon war gerade aufgestanden, als die Explosion das Geländer in tausend Stücke zerfetzte und eine Feuerwalze das offene Treppenhaus heraufschoß. Roon wich gelassen zur Wand zurück und sah mit fast akademischem Interesse auf das sechzig Zentimeter lange Stück der Balustrade hinab, das ihm in die Brust gedrungen war wie ein Pfahl. Er legte zögernd eine Hand auf das Ende, zog aber nicht. Statt dessen lehnte er sich an die Wand und setzte sich langsam hin.
    Dale hatte sich zur Wand gerollt und den Kopf mit den Händen geschützt. Der Rest des Geländers brannte, die Bücherregale auf
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