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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung
Autoren: Emilie Richards
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gebremst und wandte sich um: „Ich habe mit ihr zweiundzwanzig Jahre lang gelebt. Was auch immer du glaubst, über deine Großmutter zu wissen, ich weiß es besser.“
    Tessa stand ruhig da, aber ihr Gesichtsausdruck sagte alles. Sie verstand nicht, was ihre Mutter trieb – und würde es nie verstehen. Es war egal, wie sehr Nancy versuchte, an ihre Tochter heranzukommen und ihre Unterstützung zu gewinnen, Tessa würde ihre Mutter nie als etwas anderes als eine leichtgewichtige, hübsch verpackte Last empfinden. Genau wie ihr Vater.
    „Es wird ein langer, heißer Sommer werden“, sagte Nancy. „Und er wird dir noch länger vorkommen, wenn du den Rest der Zeit damit verbringst, mich falsch einzuschätzen, Tessa.“
    Ohne Tessas Reaktion abzuwarten, ging sie wieder zur Garage hinüber. Erst als sie ein lautes Klappen hörte, hielt sie inne und drehte sich um. Tessa zuckte mit den Schultern und trat ein wenig zurück, um das Fenster über ihrem Kopf sehen zu können.
    Das Fenster, das gerade noch offen gewesen war, wurde nun fest geschlossen. Nancy sah zu, wie die alte Frau drinnen die Vorhänge zuzog und sich gegen die Welt draußen abschottete.
    Panik war für Helen Henry ein alter Feind, den sie gewöhnlich überwältigen konnte, so wie sie mit ihren zweiundachtzig Jahren die meisten ihrer Feinde überwältigt hatte. Nun krallte er sich in ihre Eingeweide und legte seine Hände um ihren Hals, so dass sie kaum noch atmen konnte. Das lag zum Teil daran, dass im Haus mittlerweile kein einziges Fenstermehr offen war und die Innentemperatur langsam auf die 40 °C zuging. Aber eben nur zum Teil.
    Sie stand mit ihrem Rücken an dem schmalen Streifen Wand neben dem Salonfenster und rang nach Atem. Als das Fenster noch offen war, hatte sie von dort mit anhören müssen, wie ihre einzigen lebenden Verwandten das Für und Wider diskutierten, ihr Haus zu stürmen. Erst dann unterlag sie der Angst, die schon seit einer Woche nur eine Handbreit entfernt war.
    Jetzt waren sie hier. Früher oder später würden sie hereinkommen. Dann würden sie alles sehen .
    Verzweifelt ließ sie den Kopf sinken. Sie bemerkte, dass ihr an ihrem blauen Hauskleid zwei Knöpfe fehlten, so dass es über ihren hängenden Brüsten auseinanderklaffte. Sie hatte Tausende Knöpfe, die sie hätte annähen können, aber es fehlte ihr die Energie dazu. Ihre Figur war birnenförmig, und sie trug dieses Kleid und andere, die ähnlich geschnitten waren, um ihre breiten Hüften zu verbergen. Gebärfreudiges Becken, hatte ihre Mutter ihr damals gesagt. Leider nur zu wahr, dachte Helen grimmig.
    „Mutter!“
    Auf Nancys Ruf knirschte Helen mit den Zähnen, die größtenteils noch ihre eigenen waren. Es war allgemein bekannt, dass die Zähne eines Stoneburners ihre Besitzer häufig überlebten. Sie überlegte kurz, ob sie dafür beten solle, dass auch sie im Vollbesitz ihrer Zähne sterben möge, und zwar auf der Stelle. Aber sie bezweifelte, dass sie der Herr nur auf Grund solch eines fadenscheinigen Vorwands zu sich nehmen würde. Sie musste sich das Beten aufsparen, für den Fall, dass es richtig ernst werden würde.
    In dieser Situation musste sie entweder einlenken oder zum Angriff übergehen. Ängstlich war sie nicht. Sie hatte es in ihrem Leben nicht leicht gehabt, aber sie war durchgekommen. Sie hielt die Panik mit einer Hand in Schach, während sie mit einer Machete in der anderen einen Pfad durch ihren persönlichen Dschungel schlug. Die Hand, die das Messer hielt, war das Einzige, was sie nach außen preisgab. So hielt sie es seit dem Tod ihres Mannes, und diese Seite musste sie auch jetzt zeigen.
    Wenn sie diese Hand jetzt nicht ins Spiel brachte, würden ihre Tochter und ihre Enkelin ihre anderen, verletzlichen Seiten sehen. Sie würden sich auf sie stürzen, und durch ihre Schwäche wäre sie eine leichte Beute. Vor ihrem inneren Auge sah sie Nancy und Tessa mit Wolfskörpern, und sie war darüber nur wenig beschämt.
    „Mutter!“
    Sie dachte, gehört zu haben, wie Tessa versuchte, ihre Mutter zum Schweigen zu bringen. Sie hätte ihrer Enkelin sagen können, dass alle Versuche in diese Richtung vergebens waren. Allerdings war sie sich sicher, dass Tessa das selbst wusste, aber nicht anders konnte. Nach außen erschien Nancy vielleicht flatterhaft, manchmal sogar töricht, aber Helen kannte die eiserne Entschlossenheit, die ihre Tochter auch auszeichnete. Was sie wollte, bekam sie normalerweise. Und so und nicht anders war sie es auch
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