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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung
Autoren: Emilie Richards
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uns einfach hineingehen und den Rest vergessen.“
    Helen wusste, dass dies der Augenblick war, um noch ein letztes Mal pathetisch zu werden. „Ich will euch hier nicht haben. Ich kann sehr gut für mich alleine sorgen. Das tue ich schließlich schon seit Jahren.“
    Nancy wollte anfangen, all die Anzeichen aufzulisten, nach denen Helen offensichtlich für niemanden sorgen konnte, aber Tessa unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Lass uns dir helfen“, sagte sie zu ihrer Großmutter.
    Helen atmete tief ein und wurde still. Hilfe . Dieses Wort hatte für sie nur eine vage Bedeutung. Andere mochten sich etwas darunter vorstellen, sie nicht. Doch sie bemerkte den Gesichtsausdruck ihrer Enkelin. Tessa war wie Helen, selten zeigte sie ihre Gefühle. Aber jetzt, in diesem Moment, war Besorgnis in ihren Augen zu lesen. Es war die Sorge eines Menschen um einen anderen, nicht die Angst eines Verwandten, die tief aus dem Herzen kommt und auf schönen, gemeinsamen Erinnerungen beruht. Helen besann sich wieder. Sie hatte keine andere Wahl.
    „Ich will kein Wort hören, versteht ihr? Ich will kein Wort davon hören, dass ich den Hof vernachlässigt habe. Glaubt ihr, ich wüsste das nicht?“
    Tessa antwortete nicht. Nancy seufzte. „Lasst uns einfach hineingehen.“
    „Es ist mir egal, was ihr denkt“, sagte Helen. „Ich gehe hier nicht weg. Es sei denn, der Herr nimmt mich zu sich.“ Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und humpelte steif zum Haus.
    Sie hörte, wie hinter ihr Tessa ihrer Mutter zuflüsterte: „Du hast gehört, was sie gesagt hat, oder?“
    „Mein Gehör ist ausgezeichnet.“
    Helen wies die beiden nicht darauf hin, dass auch sie ausgezeichnet hören konnte. Sie schob die Tür auf und ging dann ein Stück zur Seite. Sie sah die beiden anderen an.
    Auf der Schwelle machte Tessa einen Schritt aus dem Weg, um ihre Mutter zuerst hineingehen zu lassen. Helen sah Nancy an, deren Augen einen Moment brauchten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Tessa kam nach ihr in den Flur und pfiff leise durch die Zähne. Und nach dieser Warnung sprach sie als Erste.
    „Mein Gott“, sagte sie leise zu sich selber.
    Ohne hinzusehen wusste Helen genau, was ihre Tochter und ihre Enkelin sahen. Stapel, Stapel und noch mehr Stapel, die an den Wänden standen, die nichts als schmale Gänge in der Mitte des Raumes freiließen und die sich zu Festungen auftürmten, die sich bis knapp unter die Decke erstreckten. Müslipackungen zu dünnen Paketen zusammengelegt, leere Marmeladengläser, die vor den Fenstern standen und im Sonnenlicht glitzerten, Zeitschriften und Bücher, die sie aus den Mülleimern in Toms Brook, Mauertown und Woodstock gerettet hatte und die ignorante Mitbürger wegwerfen wollten. Decken und Handtücher waren sorgsam zusammengelegt und formten einen eigenen Stapel. Defekte Küchengeräte, die sie irgendwann einmal reparieren würde, sobald sie die rechten Ersatzteile gefunden hätte, Plastiktüten, die mit Plastiktüten gefüllt waren – war es nicht Verschwendung, sie wegzuwerfen, wenn man sie noch einmal benutzen konnte? Kataloge aus dem Gartencenter, deren Abbildungen zu schön waren, um sie sich nicht noch einmal anzuschauen, Plastikblumentöpfe, die darauf warteten, neu bepflanzt zu werden.
    Und noch mehr Dinge, viel mehr.
    „Nun guckt nicht so. Es sind nur meine Sachen“, bemerkte Helen. „Ich benutze das alles noch. Einige lernen es eben nie, klarzukommen, zu sparen und mit ihren Dingen sorgsam umzugehen oder Altes noch einmal zu benutzen, anstatt alles wegzuschmeißen und immer neu zu kaufen. Ich jedenfalls bin stolz darauf, dass ich es anders mache. Es gibt nichts, was ich brauche und nicht hier habe. Überhaupt nichts! Und wer kann das schon von sich behaupten?“
    Weil sie den Schock und das Mitleid in den Gesichtern der beiden einzigen Menschen, die sie auch nur ein wenig liebten, nicht mehr ertragen konnte, drehte Helen sich um. Sie ging die vollgestellte Treppe hinauf, den Flur entlang und in ihr Schlafzimmer. Dort schloss sie die Tür hinter sich.
    Dieses E-Book wurde von "Lehmanns Media GmbH" für Birgit Adomat mit der ID 2201497 generiert. ©2012

2. KAPITEL
    T essa wurde plötzlich klar, dass Nancy sich hinsetzen musste, um sich von diesem Anblick zu erholen. Aber natürlich gab es keinen freien Stuhl, alle Sitzgelegenheiten dienten als Unterlagen für einen Stapel „Zeug“, wie Helen es ausdrückte. Also half Tessa ihrer Mutter, dicke Musterbücher mit Tapeten
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