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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung
Autoren: Emilie Richards
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gewöhnt.
    Helen zog den Vorhang ein kleines Stück zur Seite und linste aus dem Fenster. Die beiden Frauen standen immer noch da, während die Sonne auf sie niederbrannte. Nancy verblühte wie eine Nelke im Sonnenlicht. Helen verspürte einen Hauch von Sympathie zu ihrer Tochter. Der Schweiß rann ihr den eigenen Rücken herab, und das Kleid war auch unter ihren Armen nass. Unglücklicherweise war sie selbst diejenige, die alle diesen Qualen aussetzte.
    Helen ließ den Vorhang zurückfallen und richtete sich auf. Es war so weit. Wenn sie noch länger wartete, hätte sie dazu nicht mehr die Kraft. Sie hatte keine andere Wahl, undihre einzige Chance bestand darin, so zu tun, als hätte sie alles im Griff, auch wenn das nicht der Wahrheit entsprach.
    Sie bahnte sich ihren Weg zur Haustür und versuchte, nicht allzu genau den Zustand der Zimmer auf dem Weg dorthin wahrzunehmen. Der schwere Riegel quietschte, als sie ihn zurückschob, als sei er nicht häufig benutzt worden – was zutraf. Die Luft, die hereinströmte, war zwar heiß, aber immerhin war es ein Luftzug. Sie atmete tief ein; dann schloss sie hinter sich die Tür, trat unsicher auf die Veranda hinaus und ging zur Brüstung.
    Der Morgenmantel und das Nachthemd, die sie aus dem Fenster geworfen hatte, lagen ganz in der Nähe, sie hätte danach greifen können. Erneut überkam sie ein Gefühl der Scham. Bislang hatte sie keins der beiden Kleidungsstücke je getragen. Sie hatte noch genug alte, die sie auftragen konnte. Aber manchmal hatte sie sie aus dem Schrank genommen, um sie anzuschauen und den seidigen Stoff mit ihren schwieligen Fingerspitzen zu berühren. Sie nahm das Hemd und den Morgenmantel vom Boden und legte sie über den Arm. Dann streckte sie die Hand nach einem Pullover aus, den Nancy ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Die Zweige der Stechpalme pieksten ihr in die Finger.
    Die beiden waren noch nicht wieder nach vorne gekommen. Aber sie war sich sicher, dass sie schon unterwegs waren. Welcher Dummkopf würde lange in der prallen Sonne stehen, wenn es nicht unbedingt sein musste? Sie überlegte, was eine gute Begrüßung wäre, wenn sie die beiden sah.
    Aber sie hatte keine Zeit mehr, sich Worte zurechtzulegen.
    Zuerst tauchte Tessa auf, was nicht weiter verwunderlich war, denn Nancy war wahrscheinlich noch damit beschäftigt, einen Plan auszuhecken und sich unnötigerweise aufzuregen. Tessa hielt inne, als sie ihre Großmutter auf der Veranda sah, aber sie sagte nichts. Dafür bekam sie von Helen Pluspunkte.Sie konnte sich darauf verlassen, dass Tessa kein Theater veranstalten würde. Ihre Enkelin war in Krisenzeiten so souverän wie Jackie Kennedy.
    „Dann kommt halt rein.“ Helen machte einen Schritt auf die Tür zu. „Es hat nicht den Anschein, als würdet ihr meine Andeutungen verstehen und endlich nach Hause fahren.“
    „Ich hatte Angst, du würdest anfangen, die ganzen Möbel aus dem Fenster zu schmeißen.“ Tessa ging die Treppe hinauf und hielt auf der obersten Stufe an. „Wie geht es dir, Grandma?“
    „Genauso, wie es mir ging, als du mich das letzte Mal gefragt hast. Und da damit deine Frage beantwortet ist, kannst du jetzt auch wieder gehen.“
    Nancy bog um die Ecke und starrte ihre Mutter an. „Ich nehme an, du findest das witzig, Mutter? Steht nicht in der Bibel, man soll Gäste willkommen heißen?“
    „Vielleicht halten einige Leute eine Klapperschlange, die sich die Stufen hinaufwindet, für einen Gast, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, mich nicht blind auf Bibelverse zu verlassen.“
    Nancy ging auf sie zu. „Redet eine Christin so über ihre Lieben, die ihr helfen wollen?“
    Helen wich nicht von der Stelle. „Ich habe euch nicht darum gebeten.“ Nancy wollte gerade etwas erwidern, als Tessa einen Schritt vorwärts machte und sich mit entschiedener Miene zwischen die beiden Frauen stellte.
    „Hört zu“, sagte Tessa. „Wenn ihr beiden nicht aufhört euch anzuzicken, wird dieser Sommer für uns alle furchtbar. Grandma, es wäre nett gewesen, wenn du mich gleich hineingelassen hättest, als ich angekommen bin. Aber ich nehme an, es ist dein Recht, mich warten zu lassen. Es ist schließlich dein Haus.“
    „Da hast du verdammt recht.“
    „Und du hattest auch das Recht, dir um Gram Sorgen zu machen“, wandte sich Tessa an ihre Mutter.
    „Wir brauchen keinen Schiedsrichter, Tessa, und natürlich habe ich mir Sorgen gemacht.“
    Tessa ging ein Stück zurück, um beide ansehen zu können. „Lasst
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