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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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zusammengelegt, in eine Packhülle geschnürt ist. Wenn ich es nicht besser wüsste, hielte ich das Teil für einen kleinen, olivgrünen Tagesrucksack mit großen Schnappkarabinern daran. An einem der Karabiner hängt ein noch kleineres rechteckiges Päckchen, etwa 40Zentimeter lang und 20 Zentimeter im Durchmesser. Darin steckt der nur 5,4 Kilo schwere Reserveschirm. Dieser Schirm ist mit 40 Quadratmetern nicht einmal halb so groß wie der Hauptschirm und wird vor die Brust geschnallt. Die Worte meines Ausbilders dazu waren: »Mit dem T10-R bleibt ihr wahrscheinlich nicht heil, aber ihr bleibt zumindest am Leben, wenn ihr die Reserve ziehen müsst.«
    Am nächsten Tag laufe ich selbst mit Stahlhelm und Gurtzeug bepackt durch die Kaserne. »Links – zwo! …«, zählt der Ausbilder neben uns an. »… drei – vier!«, tönt die Antwort aus etwa drei Dutzend Kehlen zurück. Und weiter: »Zählen, zählen, Laufschritt zählen …!« Die Sohlen der schweren Kampfstiefel treffen hart und im Gleichschritt auf das Pflaster. Dieser Klang in Kombination mit dem melodiösen Singsang des Anzählens löst bei mir eine angenehme Gänsehaut aus. Ich gebe mir Mühe, möglichst laut und kräftig mitzuzählen, muss aber erheblich nach Luft schnappen. Von nun an werden wir ständig körperlich gefordert. Die einzelnen Phasen eines Fallschirmsprungs, der Absprung, das Lenken des Schirms und der »Landefall« werden bis über die Schmerzgrenze hinaus trainiert. Die Handgriffe und Bewegungsabläufe werden so drillmäßig eingeübt, dass ich nachts noch intensiv davon träume.
    In der zweiten Woche werde ich eines Morgens von einem »Scheiße, wie geil ist das denn?! Es schneit!« aus dem Schlaf gerissen. Als ich aus dem Fenster blinzle, sehe ich große Schneeflocken wie unzählige Miniaturfallschirme zu Boden gleiten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich wach bin oder noch träume. Etwas schwerfällig schlüpfe ich in die blauen Badelatschen und schlurfe zum Fenster. Ich habe Muskelkater von der anstrengenden Ausbildung und der Nacken ist vom ständigen Tragen des Stahlhelms steif. Aber als ich durch die altmodischen Flügelfenster gucke, erfasst mich eine kindliche Begeisterung. Die ganze Landschaft ist von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Richtig schön und völlig neu für mich. In meiner Heimatstadt Rostock fällt im Winter gerade einmal so viel Schnee, dass man einen Fußabdruck darin hinterlassen kann. Am liebsten würde ich sofort hinauslaufen, mich im Schnee wälzen und eine Schneeballschlacht anzetteln. Nur die Befürchtung, mich vor allen Kameraden lächerlich zu machen, hält mich davon ab. Trotzdem will ich den Schnee hautnah genießen.
    Das Duschen lasse ich heute ausfallen. Stattdessen springe ich schnell in die Klamotten und laufe nach draußen. Schon als ich die schwere, hölzerne Eingangstür aufstoße, merke ich, dass es deutlich kälter geworden ist. Da es um 05:30Uhr noch stockdunkel ist, sieht man die Soldaten auf ihrem Weg zum Speisesaal nur im Lichtkegel der Laternen auftauchen. Ihrer angespannten Körperhaltung ist anzusehen, dass sie nicht mit der Kälte gerechnet haben und Winterbekleidung angebracht ist. Ich flitze die Treppen zu meinem Stubenflur wieder hoch und schnappe mir das wattierte Innenfutter für den Parka und die dicke Wintermütze mit Webpelzfutter und Ohrenklappen. Im Militärjargon werden sie auch Muschi-Liner und Bärenfotze genannt. Mit dem Teil auf dem Kopf sieht man wie ein Dorfdepp aus, aber die Bäfo hält den Schädel samt Ohren wirklich warm. Die Ausbilder wissen das offensichtlich auch zu schätzen, denn die meisten von ihnen, die mir auf dem verschneiten Weg zum Frühstück begegnen, haben ihre Feldmütze ebenfalls gegen die Wintermütze ausgetauscht.
    Beim allmorgendlichen Antreten merke ich, dass Schnee und Kälte ihr Gutes haben. Unser Ausbilder sagt uns, dass wir, solange Schnee liegt und es glatt ist, nicht mehr im Laufschritt von einer Ausbildungsstation zur nächsten hetzen müssen. Es werden auch zwei Freiwillige für den Teedienst gesucht. Mir kommt zwar der Rat meines Kompaniefeldwebels, mich unbedingt für ihn einteilen zu lassen, in den Sinn, aber als ich die vier großen Thermobehälter sehe, die von den beiden getragen werden sollen, glaube ich, dass der Spieß mir einen Streich spielen wollte. Dafür melden sich zwei andere Soldaten eiligst freiwillig. Mir dämmert schon bald, dass ich auf meinen Spieß hätte hören sollen. Während wir an den folgenden Tagen
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