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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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voller Wucht an unseren Köpfen vorbei an die Wand. Halb erstaunt, halb erschrocken halten wir kurz die Luft an, um im nächsten Moment lauthals loszulachen. So was haben wir ja noch nie erlebt.
    Für die beiden Mädels findet der Abend damit jedoch ein jähes Ende. Der Holzmichel schnappt die beiden mit seinen Pranken am Nacken und brüllt: »Für euch ists genug!« Ruckzuck schiebt er sie zur Tür hinaus. Unserer Stimmung tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, wir lachen noch den ganzen Abend über den Vorfall und kehren erst spät in der Nacht vergnügt zur Kaserne zurück. Mit dieser Geschichte konnten wir in der heimatlichen Einheit unseren Beitrag zu den Legenden um die »Kutsche« leisten. Dass die Wurfecke bei den Mannschaftssoldaten und im Unteroffizierskorps eine lang gepflegte Tradition ist, habe ich erst sehr viel später erfahren.
    Zum Glück habe ich am Sonntag ausreichend Zeit, um meinen Rausch auszuschlafen. Ich bewundere einen bayerischen Stubenkameraden, der sich mit den Worten »Ah, gegn die Kopfschmerzn hülft nur oa Konterbier!« direkt zum Frühstück ein Weizenbier einschenkt, aber das Rumoren in meinem Magen gibt mir deutlich zu verstehen, dass ich es ihm lieber nicht nachmachen sollte.
    Am folgenden Tag erwartet uns der wohl am meisten gefürchtete Teil der Ausbildung – der Sprungturm. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Auf dem Sprungturm verweigern mehr Leute den Absprung als im Flugzeug. Von unseren Ausbildern haben wir etliche Male gehört: »Jungs, reißt euch da oben zusammen! Wenn ihr da hinausspringt, dann ist der Sprung aus der Transall ein Klacks für euch.« Das macht mir den Marsch zum Turm nicht gerade leichter. Am Fuß des etwa 13Meter hohen, rechteckigen Holzturms befinden sich an zwei Seiten visàvis kleine graue Hütten mit Schiebefenstern. Sie erinnern mich an die Kartenhäuschen einer Achterbahn. Mich erfasst auch etwa die Anspannung wie vor der rasenden Fahrt, lediglich der wohlige Schauer bleibt aus.
    An der Tür des kleinen Häuschens nimmt uns der Hörsaalleiter persönlich in Empfang. Wir treten in der gleichen Formation vor ihm an, in der wir zukünftig beim Fallschirmspringen stehen und das Flugzeug betreten sollen. Etwa sechzig Mann stehen in vier Linien, den sogenannten Sprungreihen, vor ihm, jeweils vier Mann hintereinander und fünfzehn nebeneinander. Die gleichen Nebenmänner hat man später in der Maschine vor und hinter sich. Alle haben eine Attrappe des Reserveschirms und Gurtzeug angelegt, an dem statt des schweren Fallschirmpakets zwei Flachbänder befestigt sind. Die Karabinerhaken an den Enden sollen wir auf der obersten Plattform des vierstöckigen Turms in einen auf Rollen gelagerten Kasten einhaken, der dann ein Stahlkabel entlang schräg abwärts fährt, wenn man vom Turm gesprungen ist. Der Hörsaalleiter ruft uns dabei zu, auf welche Situation wir reagieren müssen, und kontrolliert unser Verhalten vom Absprung an bis zu einer gegebenenfalls notwendigen Öffnung des Reserveschirms. So viel zur Theorie.
    In der Praxis werden mir die Beine mit jeder Stufe, die ich hochsteige, schwerer und schwerer. Ich versuche mich auf dem Weg nach oben verzweifelt daran zu erinnern, was um alles in der Welt mich auf die unsägliche Idee gebracht hat, an einem Fetzen Stoff aus einem intakten Flugzeug springen zu wollen. Irgendwie fällt es mir nicht ein. Ich weiß nur noch, dass ich es unbedingt wollte.
    Auf jeder Etage sind vier Mann auf der linken Seite und ebenso viele auf der rechten Seite der Holztreppe, die mittig den Turm hinauf verläuft. Sie scheint uns mit jeder Stufe dem unausweichlichen Verderben näher zu bringen. Ich stehe an vierter Position und werde den drei Kameraden vor mir bei ihrem Sprung zusehen, ehe ich selber dran bin. Bevor wir synchron zu den Soldaten auf den anderen Turmebenen eine Etage hinaufsteigen, beantworten wir den Singsang des Ausbilders, der uns oben erwartet: »Vier Mann linke Tür!« Die dünne Luft trägt den Schall weit über den Ausbildungsplatz. Dann stampfen wir wie zur Bestätigung mit dem linken Fuß auf, bevor wir die nächste Ebene erklimmen. Das Aufstampfen hilft mir, das Gefühl für den Boden unter meinen Füßen nicht ganz zu verlieren. Meine Knie sind weich geworden und ich kämpfe gegen Höhenangst, die sich beim Blick nach unten immer mehr in mir ausbreitet, als wir die vierte und letzte Ebene des Turms erreichen. Die Tür dort ist mit den gleichen Rahmenmaßen und den Windabweisern dem Original der Transall
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