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Solaris

Solaris

Titel: Solaris
Autoren: Stanislaw Lem
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los. Irgendwie konnte ich mich nicht entschließen, den Raumanzug abzuwerfen, so, als sollte ich dadurch wehrlos werden. Noch einmal überblickte ich das ganze Zimmer, prüfte, ob die Tür gut zugeschnappt war, und da sie kein Schloß hatte, schob ich nach kurzem Zögern die zwei schwersten Schachteln vor. Solcherart provisorisch verbarrikadiert, befreite ich mich durch dreimaliges Zerren aus meiner schweren, knarrenden Hülle. Der schmale Spiegel an der Innenseite des Schranks zeigte einen Teil des Zimmers. Aus dem Augenwinkel erfaßte ich dort irgendeine Bewegung, ich fuhr hoch, aber das war mein eigenes Spiegelbild. Das Trikot unter dem Raumanzug war durchgeschwitzt. Ich warf es ab und drückte gegen den Schrank. Er glitt zur Seite, in der Nische dahinter erglänzten die Wände eines winzigen
    Badezimmers. Auf dem Fußboden, unter der Brause, ruhte eine stattliche flache Kassette. Ich trug sie nicht ohne Mühe ins Zimmer hinaus. Als ich sie auf den Fußboden stellte, sprang der Deckel auf wie durch eine Feder, und ich erblickte Fächer voll absonderlicher Exponate: lauter karikierte oder grob in dem dunklen Metall skizzierte Instrumente, zum Teil analog zu denen, die in den Schränkchen lagen. Alle waren unbrauchbar, unfertig geformt, abgerundet, angeschmolzen, wie aus einem Brand geborgen. Und das Merkwürdigste: das gleiche Gepräge von Zerstörung trugen auch die Griffe, die aus Cermet waren, also praktisch unschmelzbar. In keinem Laboratoriumsofen hätte sich ihre Schmelztemperatur erzielen lassen - höchstens im Inneren eines Atommeilers. Aus der Tasche meines aufgehängten Raumanzugs holte ich den kleinen Strahlungsmesser, aber die schwarze Schnauze schwieg, als ich sie den Trümmern näherte.
    Ich hatte nur Slips und ein Netzhemd an. Beides schmiß ich auf den Fußboden wie Fetzen und sprang nackt unter die Brause. Das Aufschlagen des Wassers empfand ich wie eine Erleichterung. Ich wand mich unter dem Guß harter, heißer Strahlen, massierte mich, prustete, alles irgendwie übertrieben, so, als schüttelte und schleuderte ich aus mir diese ganze trübe, mit Verdächtigungen ansteckende Ungewißheit fort, die die Station überflutete.
    Ich suchte im Schrank einen leichten Trainingsanzug aus, der sich auch unter dem Raumanzug tragen ließ. In die Taschen räumte ich meine ganze spärliche Habe um. Zwischen den Blättern des Notizbuches spürte ich etwas Hartes. Das war mein Wohnungsschlüssel von der Erde, der sich ich weiß nicht wie hierher verirrt hatte. Ich drehte ihn eine Weile zwischen den Fingern und wußte nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. Endlich legte ich ihn auf den Tisch. Mir fiel ein, daß ich vielleicht irgendeine Waffe brauchen konnte. Mein Universal-Taschenmesser war bestimmt keine, aber ich hatte nichts anderes und befand mich noch nicht in einem solchen Geisteszustand, daß ich mich auf die Suche nach einem Strahlenwerfer oder dergleichen gemacht hätte. Ich setzte mich auf ein Metallstühlchen mitten in dem leeren Raum, weit weg von allen Sachen. Ich wollte allein sein. Zufrieden stellte ich fest, daß ich noch über eine halbe Stunde Zeit hatte; nichts zu wollen, Gewissenhaftigkeit beim Einhalten aller Verpflichtungen liegt in meiner Natur, gleichviel, ob es um Wichtiges oder Unbedeutendes geht. Die Zeiger auf dem Vierundzwanzig-Stunden-Zifferblatt standen auf sieben. Die Sonne ging unter. Sieben Uhr Ortszeit, das war zwölf an Bord des Prometheus. Die Solaris mußte auf Moddards Bildschirmen schon auf das Ausmaß eines Fünkchens zusammenschrumpfen und sich in nichts von den Sternen unterscheiden. Aber was konnte mich der Prometheus angehen? Ich schloß die Augen. Völlige Stille herrschte, abgesehen von dem Miauen in den Röhren, das in regelmäßigen Abständen erscholl. Im Bad tickte leise das Wasser, das aufs Porzellan tröpfelte.
    Gibarian war tot. Wenn ich richtig verstand, was Snaut gesagt hatte, dann war kaum mehr als ein halber Tag seit Gibarians Tod vergangen. Was hatten sie mit dem Körper gemacht? Begraben? Stimmt, auf diesem Planeten ließ sich das nicht machen. Ich dachte darüber sachlich längere Zeit nach, so, als wäre das Schicksal des Leichnams das Wichtigste, bis ich mir die Unsinnigkeit dieser Überlegungen bewußt machte, aufstand und anfing, diagonal durchs Zimmer auf und ab zu gehen, und dabei mit der Fußspitze die wirr verstreuten Bücher anstieß, dann eine kleine, leere Feldtasche; ich bückte mich und hob sie auf. Sie war nicht leer. Sie enthielt eine
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