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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet
Autoren: Laabs Kowalski
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der Streifenwagen eintraf, zeigte Vater den Beamten Franziska und
erklärte, um das Mädchen könnten sie sich auch gleich kümmern. Es sei die
kleine Monika, die seit Tagen vermisst werde, man sei gerade auf dem Weg zur
Wache gewesen.
    „Stimmt ja gar nicht!“, rief
unsere Mutter dazwischen, die Lügen nicht ertragen konnte. „Du hast sie einfach
aussetzen wollen.“
    „Hab‘ ich nicht!“, schrie Vater
sie an.
    Während beide stritten, und der
Fahrer des anderen Wagens gegenüber dem Beamten seine Aussage machte, war
Monika (das Meerschwein) aus dem Auto gekrochen und dem zweiten Polizisten
plötzlich vor die Beine geraten, der daraufhin das Gleichgewicht verlor und
sich verblüfft sowie mit aufgeschürften Knien wieder aufrappeln musste. Dann
fiel sein Blick auf die merkwürdige Füße des Tieres, die natürlich keine Füße
mehr waren, sondern lediglich Stummel, auf denen es sich eher mühsam
fortbewegte. Mein Bruder hatte ganze Arbeit geleistet, und der Polizist war
weitblickend genug, ihm das Meerschwein sofort abzunehmen. Auf der Wache heulte
Martin immer noch über seinen Verlust.
    Nach etwa einer Stunde, in der
unsere Eltern eindringlich über die Kleine befragt worden waren, betrat ein
Vorgesetzter den Raum und wollte wissen: „So, wo is’n diese Monika  nun?“
    „Mit Polizeiwachtmeister Krüger
bei einem befreundeten Tierarzt, wegen der Füße“, erteilte Polizeiwachtmeister
Deichmann ihm Auskunft. „Und das hier ist die Kleine. Sie heißt Franziska“,
fügte er hinzu und wies zu dem Mädchen hinüber.
    „Hä? Wieso Franziska?“, fragte
der Vorgesetzte. „Wird auch eine Franziska vermisst?“
    „Siehst du“, wandte sich Mutter
an unseren Vater, „sie haben Franziska noch nicht mal vermisst! Na, die Eltern
sollen mich kennenlernen! Die kriegen was zu hören von mir!“
    Alles klärte sich zu guter Letzt
auf, Monikas Eltern wurden verständigt. Während man auf ihr Eintreffen wartete,
saß Vater zum Missfallen unserer Mutter mit Polizeiwachtmeister Deichmann und dessen
Vorgesetzten an dessen Schreibtisch und spielte Karten mit ihnen. Mutter war in
Tränen aufgelöst und drückte Monika, die sie beharrlich weiterhin Franziska
nannte, fest an ihre Brust. Ich studierte unterdessen die Verbrecherkarteien
und brach jedes Mal in Jubel aus, wenn ich einen Bekannten unserer Onkel darin
abgebildet sah, als schließlich die Tür geöffnet wurde und Monikas Eltern, Herr
und Frau Gablonsky, erschienen. Mutter blickte beide wild und hasserfüllt an.
    Der Vorgesetzte erhob sich,
lächelte und sagte: „So, da haben wir sie, Ihre kleine Ausreißerin.“
    Aber Frau Gablonsky machte große
Augen, starrte auf das Kind und erklärte: „Was soll das? Das da ist nicht
Monika! Monika hat viel längere Haare. Außerdem ist sie nicht blond!“
    Unsere Mutter aber lächelte
glücklich.
     
    1970
     
    Papa sagte mir, dass wir bald umziehen würden. Die alte
Wohnung sei inzwischen zu klein für uns vier. Aber ich wollte nicht umziehen,
höchstens wenn Ullis Eltern mit Ulli auch umziehen würden.
             Die neue Wohnung lag nicht wie die alte in der
Innenstadt, sondern weit draußen, in einem Vorort namens Brechten an der
Evinger Straße. Es gab keine S-Bahn-Gleise, auf die man Münzen legen konnte, um
sie von Zügen plattfahren zu lassen, und es gab auch kein Karstadt, wo ich mit
Ulli oft hingegangen war, um in der Herrenabteilung Verstecken zu spielen. So
ein Betrug!
    Um das neue Haus herum waren
Felder, und hinter den Feldern kam Wald. Der Weg bis Zum Scharfen Eck ,
wo sich meine neue Schule befand, war mindestens hundert Kilometer lang, und
auch die Wohnung war doof. Um vom Wohnzimmer und der Küche in die zwei anderen
Zimmer zu gelangen, musste man durch den Hausflur. Dazwischen lag die Wohnung
von Frau Gierse.
    Über uns wohnte die Besitzerin
des Hauses, Frau Stranghöhner, die mir alles verbot: auf der Teppichstange
rumklettern, über den Rasen laufen, Krach machen im Hof, mit ihrem Mann
Bauernskat spielen. Auch Haustiere erlaubte sie nicht. Wir hatten alle bei
Freunden unterbringen müssen. Nur unseren neuen Wellensittich duldete sie.
     
    Mein neuer Klassenlehrer in der Brechtener Grundschule
hieß Herr Grepel, mein neuer Banknachbar Michael Hartwig. Außerdem gab es ein
Mädchen namens Barbara Miek, das war noch schöner als meine Cousine Sabine. War
es eigentlich erlaubt, zwei Frauen zu haben? Oder drei? Denn Kerstin Schröder
gefiel mir fast so gut wie Barbara Miek. Außerdem war sie beim
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