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So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
Autoren: Mohsin Hamid
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eilen.
    Zu Hause sieht sie sich Filme an und hört besonders auch Radio, das sie häufig so laut dreht, dass es ihre Mieterinnen belustigt, die in ihrem arbeitsreichen Leben vielleicht einmal eine Pause machen und ein wenig mit ihr plaudern, während sie zum Rhythmus nickend ihre Zigarette pafft. Manchmal zeigt ihr eine der beiden ihre neueste Arbeit, einen Videoclip oder das Demo eines Liedes, aber das kommt selten vor. Nie wird sie zu einem Set oder in ein Studio eingeladen. Ihr Stadthaus steht am Ende einer Sackgasse, und vom Wohnzimmer im ersten Stock kann sie die ganze Straße überblicken, eine Reihe Läden und Restaurants entlang bis zu einem Fernmeldezentrum, von dem rote und weiße Masten hoch über Satellitenschüsseln in den Himmel ragen wie elektromagnetische Spieren, wie um die Wolken zu navigieren. Wegen dieses Blicks hat sie das Haus gekauft.
    Ihrem Wesen nach neigt sie nicht zu Nostalgie, das Gegenteil ist der Fall. Sie weigert sich, die Metropole am Meer zu besuchen, in der sie so viele produktive Jahre verbracht hat. Ebenso wenig möchte sie das Geld zusammenkratzen, um für eine begrenzte Zeit eine neue Assistentin einzustellen, die für sie übersetzen und sie unterstützen, ihr eine letzte Coda ihrer geliebten Auslandsreisen ermöglichen könnte. Für sie bedeutet die Rückkehr in die Region ihrer Geburt einen endgültigen Bruch mit den erst jüngst vergangenen Tagen.
    Und dennoch wird sie, sei es wegen ihres fortgeschrittenen Alters oder der merkwürdigen Echos, die diese Stadt durch ihre Assoziationen mit ihrer Kindheit fördert, häufig in unerwartete Gedankenstränge hineingezogen. So erinnert sie etwa Feuchtigkeit auf einer Fingerspitze, mit der sie von einem Glas Wasser Tropfen abgewischt hat, an einen sanften, inzwischen toten Fotografen, oder eine jähe Brise, die sie auf ihrem Balkon umweht, beschwört eine Strandparty vor langer Zeit herauf. Im einen Moment gegenwärtig und hellwach, kann sie im nächsten, ungewohnt für sie, in Tagträume versinken.
    Ihr begegnet euch in einer Apotheke wieder, einem übervollen Mikrowarenlager, in dem sich Paletten, nicht viel größer als Streichholzschachteln, stapeln, zumeist weiß, darauf ein Text, der zu winzig ist, als dass man ihn entziffern könnte, selbst mit zusammengekniffenen Augen, und zuweilen auch ein irisierendes Siegel von holografierter Authentizität, das im Licht wie ein Fisch schimmert. Schrittweise näherst du dich dem Tresen, von Leuten angerempelt, die sich an der Schlange vorbei nach vorn drängen, auf Fremde angewiesen, die dich beachten und so freundlich sind zu warten. Vor dir siehst du eine Gestalt, die nach Bezahlung ihres Einkaufs abdreht, eine Gestalt, die dich zu erkennen meint, und da wirst du von machtvollen Gefühlen ergriffen. Diese Gefühle ähneln Panik, und tatsächlich erwägst du auch, ob du dein Rezept wieder in die Tasche stecken und zum Ausgang laufen sollst.
    Doch du bleibst. Als die Gestalt sich nähert, runzelt sie die Stirn.
    »Bist du’s?«, fragt sie, nicht zum ersten Mal in ihrem Leben.
    Du lehnst dich auf deinen Stock und musterst die runzlige Frau vor dir.
    »Ja«, sagst du.
    Keiner von euch spricht. Langsam schüttelt sie den Kopf. Sie fasst dich an der Hand, ihre Haut ist glatt und kühl auf deinen Knöcheln.
    »Sehe ich so alt aus wie du?«, fragt sie.
    »Nein«, sagst du.
    »Ich habe gedacht, du bist ein ehrlicher Junge.«
    Du lächelst. »Nicht immer.«
    »Setzen wir uns doch irgendwo hin.«
    Nahe der Apotheke ist ein Café, offensichtlich Teil einer Kette und mit der künstlichen Schnurrigkeit eines Franchise – die scheinbar nicht zusammenpassenden Sofas, Sessel und Tische entsprechen einem präzise festgelegten Schema, das im Erlebniskapitel einer Mappe mit den markendefinierenden Richtlinien des Unternehmens dargelegt ist. Mobiliar und Einrichtung evozieren längst vergangene Zeiten. Musik, Speisekarte und ganz besonders die Preise entsprechen dagegen absolut der Jetztzeit. Wohlhabende jüngere Gäste könnten den Effekt angenehm finden, da er sie von dieser Straße in diesem Viertel in ein virtuelles Reich versetzt, das von Menschen bewohnt ist, die ganz ähnlich wie ihresgleichen überall im boomenden Asien oder gar auf der ganzen Welt sind. Für dich dagegen, der du dich erinnerst, dass hier noch wenige Monate davor ein Obsthändler sein Geschäft hatte, wäre die falsche Abgewetztheit dieses Etablissements verstörend. Normalerweise. Heute fällt sie dir gar nicht auf.
    Beim Tee
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