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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Autoren: Melda Akbas
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ist »Vielweiberei« in der Türkei heutzutage verboten. Onkel Nasreddin scheint das nicht zu kümmern, wie ungefähr eine Million andere Türken auch. Wenigstens scheinen sich seine beiden Frauen gut zu verstehen. Ich habe noch nie erlebt, dass sie sich mal ernsthaft stritten. Und zu uns sind sie immer sehr freundlich.
    Es wird auch nie langweilig bei Onkel Nasreddin. Inzwischen kenne ich zwar viele der Geschichten, die er immer zum Besten gibt, wenn wir bis spät in die Nacht in seinem Garten sitzen und Tee trinken. Aber er besitzt das Talent, sie jedes Mal wieder spannend zu erzählen. Die meisten handeln aus der Zeit, als er noch in dem Dorf lebte, aus dem auch Großvater und Baba stammen. Muhcalı, das liegt in der Nähe von Samsun am Schwarzen Meer. Dort darf er sich allerdings nicht mehr blicken lassen, wenn ihm sein Leben lieb ist. Ich sage nur: Blutfehde. So etwas gibt es wirklich, leider.
    Vor vielen Jahren hat Onkel Nasreddin in Muhcalı einen
Mann erschossen. Nicht absichtlich, sagt er immer, sondern aus Notwehr. Wie überall in der Türkei war es auch in dem Dorf üblich (ist es heute noch), dass Familien einander ihre Kinder für die Ehe versprachen. So versprach Großvater damals seine älteste Tochter einem seiner Brüder, dessen Sohn sie heiraten sollte. Im Gegenzug sollte dessen Tochter Großvaters ältesten Sohn, Onkel Sabahattin, ehelichen. Heiraten innerhalb der Familie war übrigens genauso üblich. Zumindest bei Cousins und Cousinen galt das nicht als Sünde.
    Aber so weit kam es gar nicht, nicht in diesem Fall. Denn was schon damals das Leben in Dörfern für viele junge Frauen unerträglich machte, gab es auch dort zur Genüge: Klatsch und Tratsch. Und zwar der übelsten Sorte, wenn man Onkel Nasreddins Erzählungen Glauben schenken darf. Es musste nur jemand ein Gerücht in die Welt setzen, schon wurde es weitererzählt, als wäre es die Nachricht vom ersten bemannten Weltraumflug. Mit dem Unterschied, dass es den gab, wogegen an Gerüchten nichts dran sein musste, sie wurden trotzdem geglaubt. Aus irgendwelchen Gründen gerieten auch die beiden Frauen, die in den Familien über Kreuz versprochen worden waren, ins Gerede. Angeblich trieben sie sich mit anderen Männern herum. Ich weiß nicht, was noch alles behauptet wurde, auch nicht, ob ein Fünkchen Wahrheit daran war. Jedenfalls wurden die Versprechen von den Familien gelöst. Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können. War sie aber nicht. Denn die eine Tochter und der eine Sohn, deren Hochzeit bereits ausgemacht war, liebten sich tatsächlich. Und der vermeintliche Bräutigam war dermaßen wütend, dass er mit seinen Freunden loszog, um - ja
wem eigentlich? - eine Abreibung zu verpassen. Warum sie nicht Großvater attackierten, der das Eheversprechen gelöst hatte, sondern dessen Bruder, Onkel Nasreddin, habe ich noch nie verstanden. Aber es soll so gewesen sein. Vielleicht war es dunkel, und sie haben ihn verwechselt.
    Wie auch immer, für den Bräutigam nahm es ein schlimmes Ende. Denn Onkel Nasreddin hatte schon damals die Angewohnheit, nie ohne Pistole aus dem Haus zu gehen. Nachts legte er sie immer unter sein Kopfkissen. Und da er sich von den Männern bedroht fühlte und um sein Leben fürchtete, zückte er sie und drückte ab, angeblich ohne auf jemanden zu zielen. Ein Geschoss traf den Bräutigam, er war auf der Stelle tot. Onkel Nasreddin wurde der Prozess gemacht. Sechs Jahre musste er im Gefängnis schmoren. Ursprünglich sollte er noch länger sitzen, kam aber durch eine Amnestie früher frei.
     
    Wir blieben in der Regel drei bis vier Wochen in Istanbul. Dann zogen wir weiter nach Samsun ans Schwarze Meer. Manchmal wollten Baba und Tayfun auch länger in Istanbul bleiben, weil sie da lieber sind, ist ja auch aufregender. Dann flogen Anne und ich allein nach Samsun. Dort besitzen meine anderen Großeltern, Annes Eltern, eine Wohnung. Meistens waren sie dann auch da, weil sie die Sommer am liebsten dort verbringen. Obwohl man die beiden Städte überhaupt nicht vergleichen kann, liefen die Tage in Samsun ähnlich ab, außer dass wir öfter am Wasser waren. Aber Verwandte besuchten wir auch dort immer, diesmal nur die aus Annes Familienzweig. Großvater übernahm meistens das Kommando. Er brauchte nur das Gefühl zu haben, ich könnte mich langweilen, sofort fiel ihm etwas
ein, das wir unternehmen könnten. Darin ist er wirklich klasse. Früher konnte er mich auch mit allem begeistern, sogar damit, ihm zu helfen, Kühe
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