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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Autoren: Melda Akbas
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mich eine gemeinsame Basis. Sie ist wie ich in Berlin aufgewachsen, hat viel von dem erlebt, was ich auch erlebt habe. Sie weiß, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Sie kennt den Balanceakt zwischen Moschee und Minirock. Wir beide sehen die Welt aus der gleichen Perspektive.
    Durch Zehra weiß ich aber auch, wie es ist, als junge Türkin in die Heimat der Eltern zurückverpflanzt zu werden. Obwohl Istanbul noch der modernste Ort in der gesamten
Türkei sein dürfte, fiel es ihr unheimlich schwer, sich an das Leben dort zu gewöhnen. Diese riesige Stadt war nur eine leere Hülle für sie. Sie wollte nicht zur Schule, sie wollte keine neuen Freunde kennenlernen, selbst zum Essen und Trinken musste sie sich zwingen. Sie fühlte sich, wie ich mich in unseren Urlauben immer gefühlt hatte: als Türkin, die keine war, gewissermaßen eine Schummeltürkin. Die mit den eigenen Landsleute nicht zurechtkam, weil deren Mentalität - oder ihre eigene? - so anders war. Mit dem Unterschied, dass meine Aufenthalte in dem fremden Heimatland spätestens nach sechs Wochen zu Ende gingen. Zehra musste bleiben.
    Als wir uns das letzte Mal sahen, im Sommer 2007, saßen wir einmal die ganze Nacht auf dem Balkon des Hauses, in dem sie mit ihren Eltern wohnt, und schütteten uns gegenseitig das Herz aus. Je länger wir da oben saßen, umso schöner wurde es. Denn der Balkon ist der perfekte Platz, um sich den Sonnenaufgang anzusehen. Gerade als das erste Licht am Horizont schimmerte, waren wir bei dem Thema angelangt, das uns wohl noch unser ganzes Leben begleiten wird, und ich fragte sie: »Fühlst du dich eigentlich als Deutsche oder als Türkin?« Ebenso gut hätte sie mir diese Frage stellen können, doch ich dachte, die Zeit in Istanbul hätte bei ihr etwas verändert.
    Aber sie antwortete, wie ich es auch formuliert hätte: »Ich bin Türkin - aber ich bin Deutsche.«
     
    Für Baba kann die Zeit in Istanbul auch anstrengend sein, weil er alle Verwandten besucht und meistens jeden nicht nur einmal. Manchmal nimmt er uns mit, aber wir bestehen nicht jedes Mal darauf. Außer Onkel Sabahattin lebt
zum Beispiel noch Onkel Aldemir dort, ein Bruder von Großmutter, also nicht mein Onkel, sondern Babas Onkel, aber ich nenne ihn auch so. Er wohnt mit seiner Familie allerdings so weit draußen, dass ich gar nicht weiß, ob das noch zu Istanbul gehört. Sie sind schrecklich arm und hausen in einer winzigen Kellerwohnung. Wir schicken ihnen öfter Almosen, ganz im Sinne der fünf Säulen des Islam. Dagegen hat es Tante Hayriye, Großmutters Schwester, ziemlich gut erwischt. Ihre Familie scheint relativ wohlhabend. Sie wohnt in einem Mehrfamilienhaus und da in einem der oberen Stockwerke. Es ist in der Türkei tatsächlich so: Wer unten wohnt, hat meistens weniger als die, die oben wohnen.
    Und dann gibt es noch Onkel Nasreddin, Großvaters jüngeren Bruder, mit seiner Familie. Ihnen gehört eines dieser Gecekondu -Häuser, die über Nacht erbaut wurden. Ein einfaches Lehmhaus mit einem kleinen Garten davor. Ich mag dieses Fleckchen. Obwohl es mitten in Istanbul liegt, fühlt man sich wie in ein Dorf versetzt. Kaum hat man die Autobahn verlassen, schon ist es herrlich ruhig, wie unter einer großen Glasglocke. Das Stadtviertel bestand früher fast nur aus solchen schlichten Häuschen. Inzwischen haben sich auch Geschäfte und Betriebe angesiedelt, sogar Ikea.
    Onkel Nasreddin ist immer einen Besuch wert. Wenn man zu ihm kommt, betritt man in der ohnehin schon anderen Welt noch mal eine andere. Beinahe so, als würde man in einer Theatervorstellung sitzen und sich in ein - sagen wir - exotisches Stück versetzt fühlen. Das fängt schon damit an, dass er zwei Ehefrauen hat und zwölf Kinder. Ungefähr zwölf, da ist sich nicht einmal Anne sicher,
die bei solchen Sachen sonst immer den Durchblick hat. Falls das jemand nicht weiß: Der Koran hat nichts gegen Polygamie. Mehrere Frauen sind okay, vorausgesetzt, der Mann behandelt sie gerecht, bevorzugt keine und versorgt sie gut - die Kinder natürlich auch.
    Das hat einen geschichtlichen Hintergrund. Der geht auf eine Epoche zurück, als in den islamischen Ländern ständig Kriege geführt wurden. Dabei starben viele Männer, und deren Frauen standen ohne Versorger da. Aber das ist auch so eine Sache: Da dem Koran ewige Gültigkeit zugeschrieben wird, steht das heute noch so drin, obwohl es längst überholt ist. Also, ich würde mich nie auf eine Mehrfachehe einlassen.
    Übrigens
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