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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Autoren: Melda Akbas
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plapperte sie in einer Tour. Und nicht nur das. Sie versuchte, Baba selbst zum Sprechen zu animieren, indem sie ihm alle möglichen Fragen stellte. Leider auch ziemlich viele unmögliche, etwa, ob er ein bestimmtes Schild am Straßenrand gesehen und warum das dort gestanden habe.
Anne ist eine intelligente Frau, doch nach zwanzig oder dreißig Stunden Fahrt fällt selbst dem Klügsten nichts Gescheites mehr ein. Ich fand es rührend, wie sie sich mühte, Baba eine nützliche Beifahrerin zu sein. Doch manchmal hätte ich laut loslachen können, wenn ich im Rückspiegel sah, wie Baba die Augen verdrehte, weil ihm das Gesabbel zu viel wurde.
    Wahrscheinlich klingt das nach einer ziemlich lustigen Landpartie, dabei waren unsere Touren nicht ungefährlich. Uns passierte in all den Jahren zum Glück nie etwas, aber man hörte immer wieder, dass Türken, die wie wir in ihre Heimat unterwegs waren, auf der Fahrt bedroht, überfallen oder ausgeraubt wurden oder alles zusammen. Besonders heiß scheint das Pflaster in Bulgarien zu sein. Dort wurde auch meinem Großvater väterlicherseits einmal von Gangstern, die sich als Polizisten ausgaben, Geld abgeknöpft, angeblich, weil er zu schnell gefahren war, was gar nicht stimmte. Er zahlte trotzdem. Was hätte er auch tun sollen? Er hatte Angst, dass sie ihm oder seiner Familie sonst etwas antun würden. Von einem ähnlichen Zwischenfall, auch in Bulgarien, der allerdings viel schlimmer ausging, berichteten letzten Sommer sogar die Zeitungen. Eine türkische Familie aus Kreuzberg wurde mitten in der Nacht von ein paar Typen angehalten, die sich auch als Polizisten ausgaben. Sie hatten ein Auto dabei, das wie ein Polizeiauto aussah. Vielleicht war es sogar eins, und vielleicht waren es echte Polizisten, wer weiß. Auf jeden Fall sollte die türkische Familie mit aufs Revier kommen. Doch anstatt zu einer Polizeistation lockten sie die Ahnungslosen in einen abgelegenen Wald. Dort wurden sie gefesselt und ausgeraubt. Die Gangster nahmen ihnen ihr ganzes Geld
ab, die Handys, Kleidungsstücke, alles, was ihnen halbwegs wertvoll erschien. Hätte eine der Töchter nicht ein zweites Handy dabeigehabt, das die Ganoven nicht entdeckten - sie hätten dort sterben können.
    Wir fuhren deshalb niemals nachts durch Bulgarien, und tagsüber taten wir alles, um ja nirgends anhalten zu müssen. Wir machten kurz vor der Grenze noch einmal halt, tankten das Auto voll und gingen auf die Toilette. Danach musste dann selbst Tayfun mit seiner schwachen Blase durchhalten. Trotzdem blieben wir nicht ganz ungeschoren. Denn da gab es noch die Zollbeamten an den Grenzübergängen, die uns manchmal wie Bettler vorkamen. Dabei hatten sie nur eine üble Masche drauf. Erst begrüßten sie uns, scheinbar herzlich, als Komşu , was »Nachbar« heißt, doch im selben Atemzug fragten sie, ob wir ein wenig Trinkgeld, bahşiş , für sie hätten. Manche nannten es auch çorba parası , »Suppengeld«. Als Frage war es so oder so nicht gemeint. Denn sie erwarteten förmlich, dass man etwas Geld in seinen Pass legte, bevor man ihnen den zur Kontrolle aushändigte. Und wehe, man gab ihnen nichts. Dann ließen sie jeden Koffer aufmachen und krempelten das Auto komplett um. Das konnte Stunden dauern. Doch selbst wenn man sich spendabel zeigte, ihnen eine Packung Zigaretten zuschob oder Kaugummis oder Feuerzeuge oder auch Geld - sobald ihnen die »Spende« nicht ausreichend erschien, was häufiger vorkam, ließen sie einen trotzdem zappeln.
    Der letzte Grenzübergang vor der Türkei entpuppte sich meistens als die größte Geduldsprobe. Kapıkule, so heißt er, war das schlimmste Nadelöhr, berüchtigt für seine chronische Überlastung, besonders in den Sommermonaten,
aber auch sonst. Nicht nur wegen der Urlauber. Über diese Strecke wird fast der gesamte Warenverkehr zwischen der Europäischen Union und der Türkei, Iran und Syrien abgewickelt. Zehn Stunden Wartezeit waren gar nichts. Einmal blieben wir sogar zwanzig Stunden hängen. Die bulgarischen Zollbeamten übertrieben es schon nicht mit der Schnelligkeit, die auf der türkischen Seite aber noch weniger. Über uns brannte die Sonne, unter uns dampfte der Asphalt, nachts kühlte es kaum ab. Und die Uhren schienen stehen geblieben, so zäh vergingen die Stunden. Der absolute Horror.
    Doch kaum hatten wir türkischen Boden unter den Rädern, war die Erschöpfung verflogen, wenigstens für einen Moment, und es ergriff uns alle ein Gefühl, das man feierlich nennen
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