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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen
Autoren: Willi Fährmann
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zu essen.«
    »Aber übermorgen geht es heim. Dann wird alles besser«, rief Ruth.
    »Man merkt, dass ihr aus Österreich kommt. Ganz Deutschland hungert. In den großen Städten erst recht.«
    Der nächste Tag, ein Montag, verlief für Dr. Scholten recht erfolgreich. Er sprach noch einmal in der Versorgungsstelle vor. Nach einigem Hin und Her erhielt er Bezugsscheine für vier Kilo Suppenfleisch und fünf Kilo Nudeln. Auch wurden ihm Geschäfte genannt, wo diese Waren tatsächlich zu haben waren. Die Wirtin versprach, daraus eine kräftige Suppe zu kochen. Sie konnten auch einige Brote kaufen. Aber wie so häufig in den letzten Wochen, trotz alledem war es nicht genug, um satt zu werden.
    Die Mädchen hatten sich schon ins Stroh verkrochen, als riesige Sherman-Panzer mit lautem Gerassel und Getöse vorbeidonnerten.
    »Weißt du noch, als wir uns in Theresienruh gefragt haben, ob die Amis wohl Panzer hätten, die die hölzernen Sperren wegschieben könnten?«, schrie Irmgard Anna ins Ohr.
    Anna musste an Friedrich denken. »Und für diesen dämlichen Bretterhaufen musste er sterben«, sagte sie. Aber der Lärm verschluckte ihre Worte.
    Am Nachmittag kam ein Mädchen aus einer anderen Gruppe zu Dr. Scholten gelaufen. »Ich soll Ihnen bestellen, morgen um fünfzehn Uhr geht es los. Sie möchten sich aber spätestens um eins im Hof des Franziskanerklosters einfinden. Dort stehen die drei Lkws abfahrbereit. Außerdem ist uns von den Mönchen ein Mittagessen versprochen worden.«
    Frau Krase achtete darauf, dass die Gruppe das Quartier im Alpenblick aufgeräumt und sauber verließ. Die Wirtin sagte beim Abschied: »Die jungen Damen können jederzeit wieder bei mir logieren, ich meine, wenn die Zeiten das Reisen wieder zulassen.«
    Nach und nach sammelten sich viele der Mädchen, die Ende März aus Maria Quell aufgebrochen waren, im Klosterhof. Schon am ersten Tag der chaotischen Flucht war die ganze Gruppe auseinandergerissen worden. Ein großer Teil war mit Frau Theiß und zwei anderen Lehrerinnen in Tirol in die französische Besatzungszone gelangt. Andere waren in Familien in der Nähe von Bad Tölz untergekommen. Auch Verwandte hatten das eine oder andere Mädchen abgeholt. Die größten Sorgen machte sich das Kollegium um die Schülerinnen, die sich auf eigene Faust auf den Weg gemacht hatten und glaubten, sie würden es allein schneller schaffen, nach Oberhausen zu gelangen.
    Philipp, der Fahrer, holte einen Sack aus seiner Fahrerkabine und rief die Mädchen zusammen. »Jetzt, wo ihr alle hier seid, will ich einen Gruß aus der Heimat verteilen. Eure Eltern haben mir für euch etwas mitgegeben.«
    Augenblicklich wurde es still. Alle schauten wie gebannt auf den Sack. Er begann, eine Postsendung nach der anderen herauszuholen und die Namen der Mädchen vorzulesen. Für die meisten war etwas dabei: Briefe, Postkarten, kleine Päckchen. Auch Irmgard und Ruth bekamen endlich Post: eine grüne Blechdose, in der im Krieg die Gasmaske in den Luftschutzkeller mitgenommen wurde. Es war Zwieback drin und ein langer Brief. Von Minute zu Minute wurden Anna und Lydia aufgeregter. Schulze, Zawatzki, Sonntag. Das waren die letzten Namen, die Philipp vorlas.
    »Nichts für uns, für Mohrmann?«, fragte Lydia mit zittriger Stimme. Der Fahrer drehte den Sack um. Er war leer. Traurig standen Anna und Lydia da.
    Frau Brüggen wollte ihnen Mut machen. »Bestimmt gibt es tausend Gründe, dass sie euch nicht schreiben konnten. Vielleicht sind eure Eltern in den letzten Kriegswochen aufs Land geflohen und konnten noch nicht wieder nach Oberhausen zurück.«
    Lydia und Anna begannen zu weinen. »Nie würde meine Mutter die Gärtnerei im Stich lassen«, schluchzte Anna. Sie wandte sich ab und entfernte sich von den anderen.
    Es gab nur wenig Platz für die vielen Mädchen auf den Ladeflächen und sie mussten eng zusammenrücken. Philipp fuhr vorneweg. Die anderen folgten in Sichtweite. Sie kamen gut voran.
    Die zuversichtliche, fröhliche Stimmung aber, die am Anfang herrschte, schlug um, als sie München erreichten und zum ersten Mal durch eine völlig zerstörte Stadt kamen. Dr. Scholten bemühte sich angesichts der Trümmer gar nicht erst um ein Quartier. Sie verbrachten die Nacht auf den Lkws. Gegen Abend des nächsten Tages erreichten sie Würzburg. Auch dort war in vielen Straßen kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Die Lebensmittelvorräte waren längst aufgebraucht. Aber mitten in der Stadt gab es eine Überraschung. Philipp
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