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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben
Autoren: Ian Rankin
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keinen Fall herbringen. Der unterschwellige Geruch, die muffige Atmosphäre und der Ausblick auf den Parkplatz… die Jardines hatten etwas Besseres verdient.
    Und ich auch, dachte sie unwillkürlich.
    Sie hatte die beiden zuletzt vor drei Jahren gesehen und stellte fest, dass sie seitdem sichtlich gealtert waren. Durch John Jardines mittlerweile spärliches Haar zogen sich graue Strähnen. Seine Frau Alice trug ihr ebenfalls grau meliertes Haar im Nacken zusammengebunden, sodass ihr Gesicht unverhältnismäßig groß und streng wirkte. Sie hatte zugenommen, und ihre Kleidung sah aus, als hätte sie das Erstbeste aus dem Schrank gezogen: ein langer brauner Cordrock mit dunkelblauer Strumpfhose und grünen Schuhen; karierte Bluse und darüber ein rot karierter Mantel. John Jardine war etwas sorgfältiger gekleidet: ein Anzug mit Krawatte und einem frisch gebügelten Hemd. Er streckte Siobhan die Hand entgegen.
    »Mr. Jardine«, sagte sie. »Wie ich sehe, haben Sie immer noch Ihre Katzen.« Sie zupfte ein paar Haare von seinem Revers.
    Er lachte verlegen und trat zur Seite, damit seine Frau Siobhan ebenfalls die Hand geben konnte. Aber statt Siobhans Hand nur kurz zu schütteln, hielt sie sie fest umklammert. Ihre Augen waren gerötet, und Siobhan schien, als hoffe die Frau, dass ihr Blick ihr etwas verriet.
    »Wir haben gehört, dass man Sie zum Sergeant befördert hat«, bemerkte John Jardine.
    »Ja, zum Detective Sergeant.« Siobhan hielt noch immer Alice Jardines Blick stand.
    »Herzlichen Glückwunsch. Wir waren zuerst auf Ihrem alten Revier, und dort hat man uns gesagt, dass Sie hier sind. Irgendeine Umstrukturierung des CID, hieß es…« Er rieb sich die Hände wie beim Waschen. Siobhan wusste, dass er Mitte Vierzig war, aber er wirkte zehn Jahre älter, was auch für seine Frau galt. Drei Jahre zuvor hatte Siobhan Ihnen zu einer Familientherapie geraten. Falls sie der Empfehlung gefolgt waren, hatte dies nicht zum Erfolg geführt. Sie standen noch immer unter Schock, waren verwirrt und traurig.
    »Wir haben schon eine Tochter verloren«, sagte Alice Jardine leise und ließ endlich Siobhans Hand los. »Wir wollen nicht auch noch die andere verlieren… Deshalb brauchen wir Ihre Hilfe.«
    Siobhans Blick wanderte zwischen den Eheleuten hin und her. Sie war sich bewusst, dass der Constable hinter dem Tresen sie beobachtete; ebenso bewusst war sie sich der abblätternden Wandfarbe, der eingeritzten Graffiti und der Fahndungsplakate.
    »Wie wär’s mit einem Kaffee?«, fragte sie lächelnd. »Gleich um die Ecke ist ein Lokal.«
    Also gingen sie dorthin. Es war eines jener Cafés, die zusätzlich einen Mittagstisch anboten. An einer der Fenstertische saß ein Geschäftsmann, verzehrte die letzten Bissen seines späten Mittagessens, während er gleichzeitig in sein Handy sprach und in seiner Aktentasche kramte. Siobhan führte das Ehepaar zu einer Sitznische, die ein Stück von den an der Wand befestigten Lautsprechern entfernt war. Es lief irgendein Hintergrundgedudel, das die Stille kaschieren sollte.
    »Wollen Sie auch was essen?«, fragte der Kellner, auf dessen Hemd ein großer Bolognesesaucenfleck prangte. Seine dicken Arme zierten verblassende Distel-und-Andreaskreuz-Tätowierungen.
    »Nur Kaffee«, sagte Siobhan. »Es sei denn…?« Sie sah die ihr gegenüber sitzenden Eheleute an, aber die beiden schüttelten den Kopf. Der Kellner ging in Richtung Espressomaschine, machte dann aber einen Abstecher zu dem Geschäftsmann, der etwas von ihm wollte. Na ja, Siobhan hatte es nicht gerade eilig, an ihren Schreibtisch zurückzukehren. Allerdings bezweifelte sie, dass die bevorstehende Unterhaltung besonders vergnüglich verlaufen würde.
    »Wie geht es Ihnen?«, fühlte sie sich verpflichtet zu fragen.
    Die beiden sahen einander an, ehe sie antworteten. »Nicht allzu gut«, sagte Mr. Jardine. »Uns geht es… nicht allzu gut.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen.«
    Alice Jardine beugte sich vor. »Tracy ist nicht der Grund. Ich meine, sie fehlt uns immer noch…« Sie senkte den Blick. »Natürlich fehlt sie uns. Aber zurzeit machen wir uns Sorgen um Ishbel.«
    »Große Sorgen«, fügte ihr Mann hinzu.
    »Sie ist nämlich verschwunden. Spurlos.«
    Mrs. Jardine brach in Tränen aus. Siobhan sah zu dem Geschäftsmann hinüber, aber er war einer jener Menschen, die nichts interessierte, was sie nicht selbst betraf. Der Kellner hingegen hatte an der Espressomaschine innegehalten. Siobhan funkelte ihn an, in der
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