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So schoen und kalt und tot

So schoen und kalt und tot

Titel: So schoen und kalt und tot
Autoren: Jane Withcomb
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Sonne vom Himmel schien. Der unerwartete Tod der Eltern hatte sie so aus dem Gleichgewicht gebracht, dass jeder Tag ein trüber Tag war mit traurigen Gedanken und heimlichen Tränen.
       „Woran denkst du, Mel?“, fragte Alanis in diesem Moment. Schon seit geraumer Zeit beobachtete die Dreizehnjährige ihre Halbschwester, die so gar keine äußere Ähnlichkeit mit ihr selbst hatte. Vermutlich war Melanie ein Abbild ihrer Mutter, die sie verloren hatte, als sie kaum drei Jahre alt gewesen war. „Du siehst so unglücklich aus.“
       Wie erwachend hob Melanie den Blick von ihrem Buch und schaute die Schwester an. „Wie kommst du denn da drauf, mein Herz? Ich habe ein wunderschönes Buch zu lesen, und ich darf mit dir zusammen bleiben und in eine neue Zukunft fahren. Was will ich denn mehr?“ 
       „Mir musst du nichts vorspielen, Melanie. Ich kenne dich seit dreizehn Jahren, und das ist eine sehr lange Zeit. Ich spüre es, wenn du traurig bist.“ Überrascht schaute Alanis zur Seite und ihr Blick hing wie festgefroren an etwas, das sie zu faszinieren schien.
       Zögernd folgte Melanie ihrem Blick. „Was ist? Siehst du etwas, was ich nicht sehe?“, versuchte sie einen Scherz und lachte unsicher.
       „Der Hund…“, meinte Alanis zögernd. „Eben war hier der große weiße Hund, den wir vorhin beim Einsteigen auf dem Bahnsteig gesehen haben. Kannst du dich noch an ihn erinnern? Er hat mich angesehen, als würden wir uns schon lange kennen. Er kam zu mir und wollte gestreichelt werden. Doch dann ist er mit einem Mal wieder verschwunden.“
       „Ja natürlich, meine kleine Träumerin“, sagte Melanie zärtlich und lächelte kaum merklich. „Ich kenne deine wunderschönen Träume, in denen entweder ein weißer Hund vorkommt oder ein edler Ritter auf einem weißen Pferd. Ach Alanis, solche Träume hatte ich auch mal.“ Sie seufzte verhalten auf.
       „Nein.“ Alanis schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre langen Haare nach vorne fielen. „Ich hab den Hund gesehen. Er war gerade in unserem Abteil, hat mich angesehen und dann ist er wieder gegangen.“
       „Das geht doch gar nicht, Darling“, widersprach Melanie ungehalten. „Ich habe jedenfalls nicht bemerkt, dass unsere Abteiltür von einem Schaffner oder von deinem Hund geöffnet worden wäre. Du hast geträumt, das ist alles. Versuch weiterzuschlafen, vielleicht kommt der Traum wieder und du erfährst, was dein Geisterhund dir sagen wollte.“ Melanie nahm die Schwester nicht ernst, obwohl sie den bitterbösen Blick des Mädchens auf sich ruhen fühlte.
       „Wie du meinst.“ Offensichtlich hatte Alanis für sich beschlossen, diese Unterhaltung nicht mehr weiterführen zu wollen. Sie machte die Augen zu und versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch da war es erneut, dieses seltsame Gefühl, als würde sie beobachtet.
       Vorsichtig öffnete sie erneut die Augen. Da saß er wieder vor ihr wie auch gerade eben schon mal, hatte den Körper aufgerichtet und die Nase ein wenig gehoben, als würde er etwas wittern. Sein Blick war aufmerksam, seine großen sanften Augen nachtschwarz.
       Im ersten Moment wollte Alanis es ihrer Schwester mitteilen, doch dann war ihr, als würde eine Stimme ihr zuflüstern, dass Melanie es ohnehin nicht glauben würde. Also schwieg sie.
       In Gedanken versuchte sie, mit dem fremden Hund zu sprechen. Sie schaute ihm tief in die Augen. Ihre Lippen bewegten sich kaum merklich, aber es war kein Laut zu hören. „Warum bist du hier?“, fragte sie.
       Ernst blickte das wundervolle Tier sie an, nachdenklich und ein wenig traurig. Plötzlich erhob es sich und näherte sich langsam dem Mädchen, bis es unmittelbar vor Alanis stand. Dann legte der Hund seinen schönen weißen Kopf auf ihre Knie, ohne dabei den Blick von ihr abzuwenden.
       Langsam hob Alanis ihre Hand und legte sie zwischen die großen aufgerichteten Ohren des Tieres. Es hielt still und schloss die Augen. Eine unerträgliche Schwermut ging von der Hündin aus.
       Alanis spürte, wie ihr auf einmal Tränen über die Wangen liefen. Diese geheime Trauer schien sich mit jedem Moment, in dem sie die Hündin berührte, mehr und mehr auf sie zu übertragen. Ganz deutlich konnte sie die Wärme des massigen Tierkörpers fühlen, den heftigen Schlag des Herzens im Pulsieren des Blutes an ihrem Hals.
       „Countess“, flüsterte sie leise. „Dein Name ist Countess – Prinzessin. Bleib bei mir, Countess.“ Sie hörte nicht auf,
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