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So schoen und kalt und tot

So schoen und kalt und tot

Titel: So schoen und kalt und tot
Autoren: Jane Withcomb
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Lied vor sich hin, dass sie noch aus ihren Kindertagen kannte.
       Verwundert beobachtete Daisy die beiden Frauen. „Kann ich irgendwie helfen?“
       Melanie schüttelte den Kopf. „Meine Schwester ist noch etwas angeschlagen vom Tod unserer Eltern. Unsere Mutter starb vor einem Jahr, und Alanis hing sehr an ihr. Zudem kam alles so plötzlich, und wir kennen auch nicht die Zusammenhänge.“ Die junge Frau merkte, dass sie in Rätseln sprach, aber sie fand nur diese Worte, um ihre gegenwärtige Situation zu erklären.
       „Wurde Ihre Mutter – ermordet?“
       „Nein, das vermutlich nicht.“ Melanie schüttelte leicht den Kopf. „Sie starb auf dem Heimweg von einer Versammlung. Es war dunkel, und Mutter hatte einen kleinen Park zu durchqueren. Sie führte das Erbe ihres Mannes, unseres Vaters, weiter, der sich sehr für den Tierschutz engagiert und einen Verein gegründet hatte, der für heimatlose Tiere sorgt.“
       „Gab es denn niemanden, der sie hätte abholen können?“ Daisy war ziemlich praktisch veranlagt, obwohl man ihr das auf den ersten Blick ganz bestimmt nicht ansehen konnte. „Es ist schon leichtsinnig, eine Frau in der Dunkelheit allein durch die Straßen gehen zu lassen.“
       „Da haben Sie schon Recht. Aber unser Vater ist schon etwas länger tot, und Alanis und ich wussten nichts von der Versammlung. Mutter pflegte ihr Leben ziemlich selbstständig zu führen.“ Melanie war erleichtert, dass Alanis sich wieder beruhigt hatte.
       „Nach dem Tod Ihrer Mutter haben Sie alle Brücken hinter sich abgebrochen, oder beabsichtigen Sie, wieder nach London zurück zu kehren?“, versuchte Daisy, ein Gespräch aufrecht zu erhalten. „Es ist ein großer Unterschied, ob Sie in der manchmal beinahe unerträglichen Einsamkeit Schottland leben oder in Anonymität einer Großstadt wie London.“
       „Wir haben alle Brücken abgebrochen“, gestand Melanie lächelnd. „Das heißt aber nicht, dass man sie nicht irgendwann wieder aufbauen könnte, falls alles andere nicht funktioniert. Meine Schwester und ich brauchen jetzt erst einmal eine Luftveränderung und vor allem ein ganz neues Leben, das uns von unseren Erinnerungen ablenkt, die in der letzten Zeit immer mehr zu einer unerträglichen Belastung geworden sind.“
       „Das kann ich gut verstehen. Ich war damals, nach meiner Heirat, ebenfalls froh, als ich Rochester Castle verlassen konnte. Auch mir wurde der Druck meiner Erinnerung unerträglich.“ Daisy seufzte verhalten.
       „War es denn so furchtbar? Möchten Sie erzählen, was passiert ist“, half Melanie ihr mitfühlend weiter.
       „Es war so viel“, gestand Daisy betrübt. „Da war der Tod meiner kleinen Nichte Jennifer, den ich bis heute nicht verschmerzt habe. Dann der Tod meiner Großeltern und … aber das alles zu erzählen würde den Rahmen sprengen“, brach sie mit wehem Lächeln ab. „Jeder Mensch hat seine Erinnerungen, schöne und weniger schöne. Im Grunde ist es doch nur wichtig, dass man irgendwie damit fertig wird, jeder auf seine Weise. Wollen wir nicht du zueinander sagen? Wir werden uns sicher oft begegnen“, schlug sie unvermittelt vor.
       Überrascht blickte Melanie sie an. Derselbe Gedanke war ihr eben auch durch den Kopf gegangen. „Gern“, stimmte sie zu. „Ich bin Melanie und das ist Alanis. Meine Schwester ist dreizehn Jahre alt und ich bin sechsundzwanzig.“ Sie erhob sich und reichte Daisy die Hand. „Wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages auch deine Kinder unterrichten“, fügte sie lächelnd hinzu.
       Daisy ergriff Melanies Hand und erhob sich dann etwas schwerfällig. „Ich danke dir, Melanie“, sagte sie leise, dann fiel sie ihr einfach um den Hals. „Auf eine wunderbare Freundschaft. Ich hatte noch nie eine richtige Freundin.“
       „Dann machen wir den Anfang damit.“ Auch Melanie war gerührt über den Gefühlsausbruch der Frau. Aber sie freute sich ebenfalls sehr darüber.
       Alanis war auch aufgestanden und legte nun ihre Arme um die beiden Frauen, die sich noch immer umfangen hielten. Sie lächelte verträumt.
       Plötzlich jedoch veränderte sich ihr Gesichtsausdruck auf eine erschreckende Weise. Fassungslos starrte sie zum Abteilfenster, in dem sie offensichtlich etwas entdecken konnte. „Seht ihr das?“, fragte sie mit brüchiger Stimme. Sie nahm ihre Arme zurück, ohne sich vom Fleck weg zu bewegen. „Da, in der Glasscheibe an der Tür.“ Ihre Lippen zitterten und ihre Wangen
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