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So schoen und kalt und tot

So schoen und kalt und tot

Titel: So schoen und kalt und tot
Autoren: Jane Withcomb
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„Versuch noch ein bisschen zu schlafen, dann vergeht die Zeit schneller.“
       Ein wenig neidvoll beobachtete Daisy Stevenson, wie liebevoll die beiden Schwestern miteinander umgingen. „Sie verstehen sich ziemlich gut, nicht wahr? Ich kann es ebenfalls kaum mehr erwarten, meinen Bruder nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen.“
       „Ist es Ihr erstes Kind?“, fragte Melanie mitfühlend.
       Daisy nickte. „Ich kann es kaum mehr erwarten, dass ich es in den Armen halten kann“, sagte sie mit weicher Stimme. „Diese Schwangerschaft macht mir mehr zu schaffen als ich gedacht habe. Aber ich werde es durchhalten, es sind ja nur noch knapp zehn Wochen.“ Ihr Lächeln fiel etwas gequält aus.
       „Vielleicht sehen wir uns dann ja öfter, wenn wir uns erst einmal in unserer neuen Wohnung häuslich eingerichtet haben“, versuchte Melanie, Daisy etwas abzulenken. „Weshalb konnte Ihr Mann denn nicht mitkommen?“
       „Thomas ist Rechtsanwalt, und er hat einige dringende Fälle zu bearbeiten“, erklärte Daisy. „Wir haben erst vor einem Jahr unsere eigene Praxis eröffnet, und da ist es etwas schwer, genügend Aufträge zu bekommen, wenn man noch nicht so bekannt ist. So eine Praxis lebt hauptsächlich von der Mundreklame.“
       Darauf wusste Melanie nichts zu sagen. Und als auch Daisy offensichtlich müde wurde, vertiefte sie sich wieder in ihr Buch. Die Handlung faszinierte sie, obwohl sie bereits ahnte, wohin die Geschichte führte, und es tat ihr Leid, dass sie nur noch wenige Seiten bis zum Ende hatte.
       Das gleichmäßige Geratter der Räder wirkte auf die meisten Reisenden einschläfernd. Auch in dem Abteil, in dem Alanis mit ihrer Schwester und Daisy Stevenson reiste, herrschte bald Stille. Inzwischen war es Nacht und im Abteil herrschte Dunkelheit. Nur ein Notlicht brannte im Gang draußen, das einen schwachen Lichtschein herein ließ.
       Daisy hatte ein leichtes Lächeln um den Mund. Ihr Gesicht wirkte entspannt und irgendwie glücklich. Nur der etwas bittere Zug in den Mundwinkeln sagte etwas anderes.
       Melanie beobachtete fasziniert, soweit es die karge Beleuchtung zuließ, das wechselnde Mienenspiel der Fremden, die ihr von Minute zu Minute sympathischer und vertrauter wurde. Die ebenmäßigen Wangen waren sanft gerötet und die langen dunklen Wimpern schmiegten sich an eine porzellanfarbene zarte Haut.
       Ja, Daisy war eine Schönheit. Vielleicht nicht im üblichen Sinn, doch sie strahlte etwas Geheimnisvolles aus, gepaart mit unterdrückter Schwermut und übergroßer Sensibilität. Jemanden wie sie zur Freundin zu haben bedeutete, nicht mehr allein sein zu müssen.
       All die Dinge gingen Melanie durch den Kopf, während sie ihre beiden schlafenden Gegenüber abwechselnd betrachtete. So unsicher sie sich anfangs über die Richtigkeit ihrer Entscheidung gewesen war, so sehr freute sie sich jetzt auf die Zeit in Glannagan, auch wenn sie noch immer genauso im Dunkel lag wie vor Daisys Auftauchen.
       „Countess, bleib bei mir. Bitte bleib bei mir, sonst wird er mich umbringen.“ Alanis versuchte ihre Arme zu heben, doch sie waren schwer wie Blei. „Countess, bleib hier…“, bat sie wieder und plötzlich liefen Tränen über ihre Wangen.
       Erschrocken starrte Melanie in das verkrampfte Gesicht ihrer schlafenden Schwester. Dann erhob sie sich und trat auf sie zu. Einen Moment lang überlegte sie noch, ob es richtig war, Alanis jetzt zu wecken. Doch ihr Stöhnen wurde immer heftiger und der Tränenstrom ebenfalls.
       „Alanis, wach auf. Bitte komm zu dir. Du musst dich doch nicht so sehr aufregen, es ist nur ein Traum.“ Unablässig streichelte Melanie über die Wange des Mädchens. „Es ist alles in Ordnung, Darling. Wach auf.“
       „Geh weg. Verschwinde endlich. Ich hab Angst vor dir.“ Die Lider des Mädchens flackerten, endlich gelang es Alanis, die Augen zu öffnen. „Ist er weg?“, fragte sie und schaute sich ängstlich um.
       „Wen meinst du?“
       „Er war groß und dunkel, und seine Augen waren rot wie glühende Kohlen. Ich glaub, das war – der Teufel.“ Das Mädchen zitterte am ganzen Körper. „Er kommt wieder, ich weiß es. Er ist hier im Zug. Er sucht uns.“
       „Niemand sucht uns, Alanis, weil uns hier niemand kennt.“ Melanie streichelte über ihr dunkles Haar. „Komm, ich halte dich fest, bis du dich wieder beruhigt hast.“ Sie legte den Arm um die schmalen Schultern ihrer Schwester und summte leise ein
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