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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden
Autoren: James Morrow
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Musterstücke hopsten, als wären sie bereit zum Abstieg in die Tiefe des Ozeans, den Schlund eines Vulkans, zur Durchquerung eines Sandsturms auf dem Mars oder eines Bienenschwarms, oder irgend etwas ähnlichem.
    Den Aktenkoffer in der Hand, schwang John sich vom Fahrersitz. Ein aufgesprühter, weißer Anzug leuchtete auf der Seite des Lieferwagens, ergänzt um die Beschriftung ARES-ZIVILSCHUTZ-MONTUREN FA. JOHN FROSTIG WILDGROVE/MASSACHUSETTS TEL. 555-7043. Der Inhaber der Firma John Frostig/ARES-Zivilschutz-Monturen kam auf das Büro zu und verströmte dabei die Art von ruheloser Fahrigkeit und die Ausstrahlung unersättlichen Strebertums, die George das Gefühl einflößten, daß es im Leben Schlimmeres gab, als Zufriedenheit mit dem zu empfinden, was man hatte.
    John trat ein, senkte das Gesäß auf einen Stuhl und stützte den Aktenkoffer auf seine Knie.
    »Ist wer gestorben?« fragte George.
    »Gestorben? Nee, tut mir leid, alter Spezi-Spezi, heute kannst du mir nichts andrehen.« Johns Freundschaft mit George ging vornehmlich auf Johns Drängen zurück. »Heute ist mit Grabsteinen nix drin!«
    George kehrte sich vom Fenster ab. Ein Drehsessel, ein Rollpult, ein pikanter Kalender, eine Staubschicht, der Stuhl, auf dem John saß – daraus konstituierte sich die Gesamtheit von Arthur Crippens Büro. Arthur fehlte. Er fand sich nie vor der Mittagszeit ein, kaum jemals vor 14 Uhr. Jetzt war es 15 Uhr 30. Zweifellos hockte Arthur im Knüllen Grenadier, einer Bar, in der die Einzelhändler des Orts ihre erloschenen Hoffnungen und gescheiterten Träume in Alkohol ertränkten.
    »Guck mal aus ’m Fenster, Spezi-Spezi. Was siehst du draußen?«
    George drehte sich nochmals. Die Kinder hatten ein Science Fiction-Spiel angefangen, beschossen sich, indem sie die Mustergrabsteine als Deckung benutzten, mit ihren Pistolen, als wären es Laserwaffen. »Kinder in weißen Anzügen«, sagte George.
    »Kinder in Sicherheit. Uns steht Krieg bevor, George, ein scheußlicher Krieg. Er ist unvermeidlich, weil beide Seiten so viele landgestützte Interkontinentalraketen für den Erstschlag angehäuft haben. Bald werden wir alle nur noch in ARES-Monturen rumlaufen. ARES steht für Autarkes Rettungs- und Einsatz-System. Seit fünf Wochen habe ich die Vertretung erst, aber schon zwei Dutzend Exemplare verkauft, ohne daß ich die Grenzen unseres reizenden Kaffs verlassen hätte. Der Produzent erlaubt uns zu firmieren, wie wir wollen, also bin ich jetzt die Firma John Frostig, ARES-Zivilschutz-Monturen. ARES-Zivilschutz-Monturen hab ich mir selber ausgedacht. Gefällt’s dir?«
    »Ich wüßte nicht, weshalb die Russen Wildgrove bombardieren sollten«, entgegnete der Unitarier George. Das hatte seine Kirche aus ihm gemacht: einen naiven Skeptiker.
    »Du verstehst echt keinen Deut von strategischem Denken, was? Hast du je von Gegenschlagskapazität gehört? Der Feind will Amerikas Kriegsführungspotential wegputzen. Na, und Wildgrove ist doch auch ein Teil des Kriegsführungspotentials. Wir haben Nahrungsmittel, Bekleidung, Sprit, Lastwagen, Menschen, vieles von militärischem Wert. Die sämtlichen Äpfel, die wir hier ernten, könnten in Kriegszeiten entscheidende Bedeutung erlangen.«
    »Ach, ich glaube, wenn dann mal die Bomben geschmissen werden, sind wir tot, ehe wir’s merken.«
    »Das ist ein ganz schön pessimistischer Standpunkt, mein alter Spezi-Spezi, und außerdem ist es unwahr. Zieh ’ne ARES-Montur an, und es ist dir unmöglich, nicht zu überleben.«
    John klappte den Aktenkoffer auf und klaubte ein eng bedrucktes Formular heraus, in dessen Kopfzeilen ESCHATOLOGISCHES INSTITUT und Zivilschutz-Optimierung stand. George erkannte Kaufverträge auf den ersten Blick; ohne Kaufvertrag konnte man nicht einmal von der Grabmalwerkstatt Crippen einen Grabstein haben.
    »›Eschatologisch‹ hört sich irgendwie japanisch an, wie?« meinte John. »Keine Sorge. Gegenwärtig kommen tatsächlich noch alle Monturen aus Osaka, aber schon nächsten Monat werden eine Fabrik in Detroit und eine in Palo Alto stehen. Mann, es kommt wirklich darauf an, zur rechten Zeit mit dem richtigen Erzeugnis am geeigneten Ort zu sein. Die größte Erfindung seit dem Gummi. Ein Haufen gerissener Gauner, diese Eschatologen, eine Bande schlauer…«
    »Von so was halte ich eigentlich nichts.«
    »Der Preis wird dich wahrhaftig nicht abschrecken.«
    »Ich bedaure, John…«
    »Man soll klein einsteigen, das ist es, was ich allen sage. Anfangs legt man sich
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