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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden
Autoren: James Morrow
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offenbarte er mir. Ich konnte mir nicht ausdenken, was er damit meinte. Der Alte hatte ein großartiges öffentliches Spektakulum im Sinn. Als erstes wünschte er seine Malereien des Untergangs in Rom auszustellen. Danach wollte er das Land bereisen, endlich den ganzen Kontinent… Gleichsam die Hauptstädte im Sturm erobern, Pöbel und Reiche ohne Unterschied betören, sie vor der greuelreichen Zukunft warnen, unsere Taschen mit ihren Münzen füllen.«
    Das Gemälde, unter dem Nostradamus stand, glänzte von der Anmut des Gemalten: Die Frau in dem vergoldeten Rahmen zeigte ein zartes Lächeln.
    »Der Alte hat Frankreich nie mehr verlassen«, ergänzte Nostradamus versonnen seine Darlegungen. »Aber ich werde die Reise vollführen. Papst Julius in Person wird diese Meisterwerke bewundern, das schwöre ich.« Der Prophet klatschte in die Hände. »Wir brauchen eine weiße Wand, Bub. Häng das Bild da ab… Ebenfalls ein Geschenk Leonardos. In ein paar Jahrhunderten wird es eine unvorstellbar hohe Summe Gelds wert sein. Wenig frommt’s mir heute.«
    Weshalb eine weiße Wand? sann Jakob. Wenn dieser Hexer etwas Magisches vollbringen will, wäre dann eine schwarze Wand nicht geeigneter?
    Der Knabe entfernte die Lächelnde. Selbst im schwachen Kerzenschein leuchtete die entblößte Wand so grausig weiß wie das Leichentuch, in dem man seinen Vater begraben hatte. Vielleicht taugte sie doch für Hexereien.
    Nostradamus hob eine Klappe an der Seite der Bilder-Kanone und enthüllte ein Öllämpchen, das er anzündete. Aus dem Abzug quoll Rauch. »Glaube mir, Meister Jakob, in diesem Gerät wohnt keine Zauberei, sondern ausschließlich der erleuchtete Verstand, mit dem Gott Leonardo im Überfluß erfüllte. Hast du je von der camera obscura vernommen? Leonardo ist es geraten, eine solche von innen nach außen zu kehren. Dieser Teil hier, er heißt Blende. Und das da sind einerseits ebene, andererseits auswärtsgekrümmte Linsen, geschliffen aus reinstem Beryll.« Der Prophet schob die erste Glasmalerei in die Maschine. »Das Verfahren erfordert des weiteren Dunkelheit.«
    Jakob löschte eine um die andere die Kerzen, so daß die Nacht wie mit einer Folge von Hieben in das Geheimkabinett eindrang. Dann richtete der Knabe den Blick auf die Wand. Was er sah, flößte ihm Schwindel und Furcht ein.
    »Gütiger Herrgott, das ist, was die Christen Teufelswerk nennen!« An der Wand war eine Abbildung von großer Fläche erschienen, vielmals größer als das Gemälde der Lächelnden. Woher kommt es? wunderte sich Jakob. Unwillkürlich drehte er sich der Bilder-Kanone zu. »Aber das Bild, das Ihr hineingesteckt habt, war doch so klein.«
    Jakob betrachtete die Darstellung. Nicht weniger Eindruckskraft als deren schiere Ausmaße hatte das Wiedergegebene, ein wohl von Dämonen erzeugter, übermäßig dicker Speer, der wie von selbst durch die Lüfte flog und Qualm ausstieß. »Wird er fürwahr die Welt vernichten?« erkundigte sich Jakob.
    »Nicht er allein. Es wird Tausende wie ihn geben, und in vielerlei Abarten.« Nostradamus’ Blick fiel auf seine Pergament-Handschrift. »Dieser satanische Speer ist eine russische SS-60-Rakete«, las er ab. »Landgestützt. Interkontinentale Reichweite. Mehrfachsprengköpfe. Verstehst du diese Worte?«
    »Nein.«
    Das Flämmchen im Innern der Bilder-Kanone flackerte. Schatten waberten längs des Rumpfs der Rakete.
    Nostradamus warf eine Vergrößerung der zweiten Glasmalerei an die Wand. »Dieser eiserne Fisch ist ein Fernraketen-Unterseeboot der Flotte«, las er vor. »Die Rückenschuppen werden klaffen und die Speere aus eigenem, innerem Antrieb zu ihren Zielen fliegen.«
    »Wie kann ein Fisch Speere in seinem Leib haben, ohne zu sterben?« räsonierte der Knabe.
    Nostradamus vergrößerte das dritte Bildnis. »Aus dem Herzen der Hölle wird ein atomarer Feuerball…«
    »Ist das Latein?«
    »Ich verwirre dich, Jakob. Es wird am klügsten sein, erkenne ich jetzt, nicht mit den Waffen den Anfang zu machen. Diese Bilder brauchen zu ihrer Begleitung des Erzählens, habe ich recht?«
    »Dann erzählt mir eine Geschichte«, sagte der Knabe.
    Nostradamus kramte in den Glasmalereien, wählte ein Bild aus und warf eine Vergrößerung an die Wand. Ein Geier. Geduckt und zerzaust kauerte er da, aufgedunsen von Aas und fahlen Auges.
    »Die Geschichte bringt dir Zeitung von einem Geier, einem Krieg und einem Mann mit Namen George Paxton. Einem in vieler Hinsicht gemeinen Menschen, aber vielleicht einem
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