Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Helden, gefangen in Fortunas Rad und auserkoren zu einer Reihe furchterregender und unerhörter Abenteuer.«
    Der Prophet wechselte erneut das Bild. Ein Bärtiger stand neben einem Grabstein.
    »Bis er die drei Kinder in Weiß erblickte…«

 
     
----
     
ERSTES BUCH
     
     
     
----
     
     
So stimme
ich für einen
Brand

----

 
KAPITEL 1
     
    Worin unser Held vorgestellt und über die wahren Tatsachen in bezug auf das Strategische Denken und den Zivilschutz belehrt wird

Bis er die drei Kinder in Weiß sah, hatte George Paxtons Leben einen nahezu tadellosen Verlauf genommen.
    In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Kind großzügiger, liebevoller Eltern geboren, Leuten so rein neuenglischer Abstammung, wie man sie nur im nordöstlichen Vermont antraf, erreichte er das Mannesalter am lauen Busen der Unitarischen Kirche. Sie hatte eine schlichte, typisch neuenglische Art von Glauben. Unitarier lehnten Wunder ab, hielten große Stücke auf die Vernunft, leugneten die Göttlichkeit Jesus Christus’ und hegten ernste Zweifel am Gottsein Gottes. George wuchs in der Überzeugung heran, das sei das einleuchtendste aller möglichen Weltbilder.
    Im Alter von fünfunddreißig Jahren hatte das Schicksal ihn mit einer bewundernswerten Tochter gesegnet, einer Ehefrau, die immer aussah, als käme sie gerade von der Bewältigung einer gefahrvollen, sündhaften Herausforderung heim, sowie einem auf Pfählen an einem See erbauten, schnuckeligen Häuschen. Er befand sich bei guter Gesundheit und wußte, wie er durch eine Ernährungsweise, die auf karger Bemessung der Mahlzeiten beruhte, vielen lebensbedrohlichen Krankheiten vorbeugen konnte. George fand außergewöhnliches Vergnügen an einfachen Kleinigkeiten. Heißer Kaffee bereitete ihm Anwandlungen des Entzückens. Wenn das Fernsehen abends einen guten Film sendete, pfiff er tagsüber dauernd aus Vorfreude vor sich hin.
    Selbst die Philosophen hatte er ausgetrickst. Eine grundlegende Entdeckung des zwanzigsten Jahrhunderts bestand in der Erkenntnis, daß ein Mensch ein an Vorzügen überreiches Leben führen und doch insgeheim unglücklich sein konnte. Die Philosophen nannten es Verzweiflung. Aber George Paxtons Lebenslauf trug den Stempel der Zufriedenheit; George litt nicht an Verzweiflung. So glückliche Individuen gab es in der Zeit selten. Man hätte George Paxton gegen Geld zur Besichtigung hinstellen können.
    Allerdings muß eingeräumt werden, nicht jeder wäre in seiner Situation zufrieden gewesen. Nicht jeder hätte darin Erfüllung gefunden, Wörter auf Grabmäler zu setzen. Für George jedoch bedeutete das Anbringen von Inschriften auf Grabmälern keinen alltäglichen Gelderwerb, sondern eine Berufung. Er übte seine Berufstätigkeit im Friedhofsgewerbe aus. Er hatte einen Bildband mit Fotos der herrlichsten Gräber: des Sarkophags Alexanders, des Mausolus-Schreins in Halikarnassus, der Medici-Gruft in San Lorenzo und der Cheops-Pyramide. Deprimiert es Sie nicht, daß sie den ganzen Tag mit Grabsteinen zu tun haben? fragten ihn manche Leute. Nein, lautete seine Antwort. Grabsteine, so wußte er, verkörperten ein Bildungsmaterial, sie lehrten, daß das Dasein Schranken hatte: Man sollte keine zu hochgeschraubten Pläne verfolgen.
    Dann und wann beschuldigte seine Frau ihn der Trägheit. »Ich wünschte, du würdest dich mal auf die Hinterbeine setzen und mehr Ehrgeiz entwickeln«, sagte Justine bei solchen Gelegenheiten. Aber Georges Verhältnisse – der Friede, die Schlichtheit, seine Muskeln, die er beim Granitheben erwarb – behagten ihm durch und durch.
    Und da kreuzten plötzlich sie auf, die Kinder in Weiß, sie sprangen aus dem Heck von John Frostigs kleinem Lieferwagen und rannten zu den Ausstellungssteinen, die vor dem Firmengelände der Grabmalwerkstatt Crippen aufgereiht standen. Die Grabsteine hatten voneinander so geringe Abstände, als läge hier ein Friedhof für Liliputaner. »Schneeflittchens sieche Zwerge liegen bei uns Probe«, alberte Georges Chef ab und zu herum. »Möchtest du inzwischen mal mit ihr ’ne Sause machen?« spaßte sein Chef meistens im selben Atemzug.
    George saß vorn im Büro in der Nähe des schmierigen, rußigen Fensters und sah die Kinder in Weiß über die Ausstellungssteine hüpfen. Ihre Anzüge – enge Einteiler, an der Taille eingeschnürt durch Koppel und oben durch runde Helme komplettiert – ließen ihnen volle Beweglichkeit. Jedes Kind hatte eine Pistole. Die Jungs wirkten, wie sie da über die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher