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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden
Autoren: James Morrow
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Freund des Menschen ist für Sie sowieso nicht das Geeignete, hab ich recht?« meinte er. »Aber eines muß ich zugeben: Es war immer ’ne Freude, Sie morgens kommen zu sehen.« Er trat näher und streckte eine Klaue nach ihrem Gesicht aus. »Sie haben ’ne anregende Art und Weise, die Fische zu füttern.« Er strich ihr über die Wange. »An Ihnen ist eigentlich alles anregend, Justine.«
    Sie wich zurück. Wenn ich mich jemals auf so etwas einlasse, dachte sie, dann nur für den Hauptpart in einem Kabel-TV-Werbespot. Im Gegenzug stapfte Harry zur Tür, schloß sie und drängelte Justine in eine Ecke.
    »Durch ein bißchen Überzeugungsarbeit könnte ich dazu gebracht werden, Ihnen die Stelle zu lassen.« Geübt legte er in unmißverständlicher Absicht eine Hand auf ihre linke Pobacke. »Warum machen wir nicht heute nachmittag ’n Abstecher in den Knüllen Grenadier und trinken zusammen ’n Gläschen?«
    »Wissen Sie, Mister Sweetser…« Justine entzog sich seiner Hand und strebte zur Tür. »Mit Ihnen hat es was besonderes auf sich, von dem Sie vielleicht gar keine Ahnung haben.«
    »Was denn?«
    »Sie sind ein total widerlicher Kotzbrocken.«
    Daraufhin setzte Harry Sweetser Justine von ihrer fristlosen Entlassung in Kenntnis.
    *
    Und so fiel Justines Reaktion, als George am Abend daheim eintraf und stolz die ARES-Montur vorzeigte, ungefähr wie bei Hans’ im Glück Mutter aus, als sie, nachdem er mit leeren Händen zu Hause eingetroffen war, von ihm erfuhr, daß er sich mit einem Goldklumpen auf den Heimweg gemacht gehabt hatte.
    »Sechstausendfünfhundertfünfundneunzig Dollar?!« japste sie. »Wofür?«
    »Für Zivilschutz gegen einen atomaren Angriff. Für Hollys Zukunft. Wir zahlen dreihundertfünfundvierzig Dollar und einundsiebzig Cent im Monat – inklusive Steuer –, und nach zwei Jahren gehört er uns. Er stammt aus Japan.«
    Mürrisch hörte Justine zu, während George über Individual-Strahlungsdosimeter, Primuskocher, Lexan-Beschichtung und Wincos Synthostrat schwatzte. Er breitete die Montur übers Sofa und streifte sein Arbeitshemd ab, überschüttete den Boden mit Granitsplitterchen und Tonerdeflöckchen, den Schutt seines Berufsstands; der Haushalt zeichnete sich durch hochgradige Griffigkeit aus: Granit, Tonerde, Sand, Tierhaare, einiges an Post, das zu wichtig war, um es wegzuwerfen, aber zu bedeutungslos, um es abzuheften, diverse Kleidungsstücke, die dauernd, als hätten sie einen störrischen Eigenwillen, von den Haken rutschten, und über alles wälzten sich die endlosen Gemengsel von Hollys Spielzeug. Der Irish Setter sprang ans Sofa und beschnupperte die Montur. Lucius, die Katze, hüpfte auf sie, rollte sich darauf ein und machte ein Schläfchen.
    Justines Abscheu vor der ARES-Montur beruhte auf stummer Intuition, entsprach dem Schrecken einer Henne, die den Schatten eines Falken übers Hofgelände gleiten sieht. Sie entdeckte keinen Mangel im Design, keinen Fehler in der Verarbeitung, keinen Betrug hinsichtlich des Zwecks. Trotzdem hatte sie die Gewißheit, daß Hollys niemals so eine Montur tragen durfte.
    »Ich glaube, der Weihnachtsmann sollte sie ihr bringen«, sagte George, streichelte eifrig seine Erwerbung, die auf dem Sofa lag wie ein aufgebahrter Knabenkönig. »Wahrscheinlich wird sie sie lieber tragen, wenn sie denkt, sie wäre von ihm.«
    »George, ich habe meinen Job verloren.«
    »Was hast du?«
    »Harry Sweetser hat mich rausgeschmissen. Mir ist ’ne Tarantel kaputtgegangen.«
    »Quatsch.«
    »An sich bin ich darüber froh. Nicht über die Tarantel. Aber ich hätt’s dort keinen Tag lang mehr ausgehalten.« Sie klemmte sich einen Streifen Spearmint-Kaugummi zwischen die Lippen, als wäre er eine Zigarette, saugte daran. »An der Noah-Webster-Akademie gibt’s eine Schauspielschule, habe ich gehört.«
    »Ich dachte, wir hätten uns auf ’n zweites Kind geeinigt. Ist das deine Art, ’s dir anders zu überlegen?«
    »Ich besuche die Abendkurse. Tagsüber bin ich Mutter, abends bist du Vater. Irgendwie renkt sich im Leben schon alles ein.«
    »Unsere Wasserrohre sind undicht, das Auto ist am Verrecken, wir können uns keine Lebensversicherung leisten, wir wollen ’n zweites Kind haben, und du willst zum Zirkus gehen!«
    »Nicht zum Zirkus, auf die Schauspielschule.« Der Kaugummi verschwand in Justines Mund wie ein Baumstamm in einem Sägewerk.
    »Du hast überhaupt keinen Sinn für die Realität!«
    »Und du hast keinen Sinn für irgend etwas anderes.«
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