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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt
Autoren: Batya Gur
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Blick auf den Bildschirm links von ihr warf. »Es sieht aus wie ein Foto vom Mond.«
    Einer der Ärzte lächelte, aber noch immer drehte sich keiner um.
    »Doch«, sagte Jo’ela und trat zu dem Gerät, »man sieht alles. Schauen Sie, das ist die Gebärmutter, das sind die Eierstöcke und das die Eileiter. Und sehen Sie diese schwarzen Flecken?«
    »Vergrößert mir den Ausschnitt«, sagte Awital.
    »Sehen Sie diesen Streifen? Das ist die Sonde. Und diese schwarzen Flecken da? Das sind die Follikel. Die versucht er jetzt herauszuholen.« Auf dem flimmernden Bildschirm sah man, wie sich die Sonde einem Follikel näherte.
    »Es tut weh«, stöhnte die Frau.
    »Nicht bewegen!« rief Awital. »Nur noch ein bißchen, gleich ist es vorbei.«
    Die Frau seufzte wieder. »Bewegen Sie sich nicht!« befahl Awital. »Ganz ruhig.« Und ein paar Sekunden später: »Jetzt hab ich’s. Hier.« Zufrieden hielt er Jo’ela, die hinter ihm stand, das Reagenzglas hin. »Bring ihnen das«, sagte er schroff, »und komm dann zurück. Du kannst ihr die Hand halten, damit sie was zum Drücken hat, wenn es ihr weh tut. Ich hab’s ihr versprochen. Und unsere Hände sind schon ganz blau.«
    »Ich möchte eine Pause«, flüsterte die Frau. Auf ihrer Stirn standen Schweißtropfen, ihre Zähne klapperten. »Mir ist heiß. Ich brauche dringend eine Pause.«
    »Bitte, kein Problem«, sagte Awital kühl, und seine Hand erstarrte. »Gut, machen wir eine Pause.« Groll lag in seiner Stimme.
    »Nein, nehmen Sie sie raus«, verlangte die Frau.
    Er erschrak. »Was, ich soll die Sonde rausnehmen? Ganz? Das geht nicht. Hier, sie hält Ihnen die Hand, wir warten auf das nächste. Drei haben wir schon.«
    »Wieviel brauchen Sie noch?« fragte sie flehend.
    »Noch ein paar«, antwortete Awital und ließ die Hand sinken, ohne sie anzuschauen. Und zu Jo’ela sagte er: »Und du hältst ihr die Hand, wir fangen noch mal an.«
    Die Beine der Frau zitterten. Ihre verschwitzten Finger drückten Jo’elas Hand. Jo’ela blickte auf den Bildschirm und hielt den Atem an, als die Sonde wie ein Haken um die schwarzen Flecken kreiste. Ihre Hand schmerzte.
    »Entschuldigung«, sagte die Frau mit einem angestrengten Lächeln. Tränen traten ihr in die Augen. Sie machte sie zu und warf den Kopf von einer Seite auf die andere.
    »Schreien Sie ruhig, wenn es Ihnen weh tut«, sagte Jo’ela. »Sie müssen sich nicht beherrschen.«
    »Was hilft es mir, wenn ich schreie, tut es dann weniger weh?« stöhnte die Frau. »Schreien nützt mir nichts, und es stört ihn bei der Arbeit.«
    Jo’ela befreite ihre feuchte Hand aus dem Griff der Frau und streichelte sie, ohne daß die anderen es merkten, sanft am Oberschenkel. Ein feuchter Fleck erschien auf ihrem Kittel, dann war er auch schon wieder verschwunden. Plötzlich fühlte sich ihre Hand so trocken und kühl an, als berühre sie wieder die kreidige Haut des Mädchens. Die Frau klammerte sich jetzt am Stuhl fest.
    Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte, wenn die Hand von Mal zu Mal geschickter wurde, wenn der Blick sich auf den Bildschirm oder auf die Sonde konzentrierte, wenn die selbstherrliche Einmischung in den natürlichen Ablauf der Dinge auf die technischen Schwierigkeiten reduziert wurde, auf die Frage, wie lange es dauerte, bis die Sonde einen Follikel erwischte, und wieviel Eier sich erfolgreich entwickeln würden, blieb von dem ganzen Drama nur die feierliche Formulierung übrig: Befruchtung im Reagenzglas. Kein Grund, hier noch länger herumzustehen.
     
    Bläulich lag das Baby im Inkubator und zappelte mit den Beinen. Auch die Schläuche bewegten sich. »Noch nie hat man ihn berührt, noch nie gestreichelt, und er weiß nicht, was es heißt, auf den Arm genommen zu werden«, sagte die junge Mutter und umklammerte mit ihren blassen Händen die Aufschläge ihres Morgenrocks.
    Jo’ela berührte ihren Arm. »Seien Sie dankbar, daß er in Ordnung ist. Mindestens zweimal am Tag sollten Sie sich bedanken. Er hat bis jetzt gewartet, da kann er noch einen Tag länger warten.«
    »Warum müssen Sie so hart sein?« fragte die Mutter plötzlich mit einem forschenden Blick.
    Jo’ela erschrak. Dann fiel ihr ein, daß die Frau Psychologie studierte. Eine Zweitgebärende.
    »Ich habe Sie auch während der Geburt gehört«, fuhr die andere mutig fort. »Sie sind hart, und das, obwohl Sie eine Frau sind.«
    Jo’ela lächelte. »Gehen Sie doch mal zur Onkologie, da werden Sie sehen, was Härte heißt«, sagte sie schnell.
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