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So gut wie tot

Titel: So gut wie tot
Autoren: Peter James
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seinem Freund den Arm um die Schulter. Er liebte diesen Mann, einen der brillantesten Ermittler, denen er je begegnet war. Glenn besaß die besten Voraussetzungen für eine Karriere bei der Polizei, aber die gab es nicht umsonst. Sie hatte einen Preis, den viele nicht bezahlen wollten. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten zerstörten viele Partnerschaften. Am besten lief es, wenn beide Partner bei der Polizei oder in ähnlich familienfeindlichen Berufen arbeiteten.
    »Ich habe mich heute für dich entschieden, weil du der beste Mann bist. Aber ich zwinge dich nicht. Du kannst mitkommen oder nach Hause fahren. Entscheide selbst.«
    »Klar, Oldtimer, ich fahre nach Hause, und was dann? Dann kann ich morgen wieder in Uniform Streife laufen und am Duke’s Mound Schwule wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses hoch nehmen. Stimmt’s?«
    »So in etwa.«
    Grace stieg aus. Branson folgte ihm.
    In Regen und heulendem Wind zogen sie weiße Overalls und Gummistiefel an, in denen sie aussahen wie zwei Spermien, und meldeten sich bei einem Officer, der sie auf seinem Klemmbrett unterschreiben ließ.
    »Sie brauchen Taschenlampen«, erklärte er.
    Grace schaltete seine Taschenlampe probeweise ein und wieder aus. Branson tat es ihm nach. Ein zweiter Polizist, der ebenfalls eine gelbe Leuchtweste trug, ging im schwindenden Licht vor ihnen her. Der Schlamm unter ihren Füßen, der von tiefen Reifenspuren durchzogen war, machte saugende Geräusche. So stapften sie über die riesige Baustelle.
    Sie kamen an einem hohen Kran, einem Schaufelbagger und Stapeln von Baumaterial unter flatternden Plastikplanen vorbei. Vor ihnen ragte die bröckelnde Ziegelmauer des Bahnhofsparkplatzes empor. Dahinter sah man den orangefarbenen Schein der abendlich erleuchteten Stadt. Ein loses Brett klapperte im Wind, Metall schepperte aneinander.
    Grace sah sich um. Hier wurden gerade Fundamente gegossen. Seit Monaten war auf dem Gelände schweres Gerät kreuz und quer umhergefahren, sodass man nur im Abwasserkanal selbst auf Spuren hoffen konnte.
    Der Officer blieb stehen und deutete in einen freigelegten Kanal, der sich etwa sechs Meter unter ihnen befand. Er erinnerte Grace an eine prähistorische Schlange mit einem gezackten Loch im Rücken. Das Mosaik aus alten, ausgeblichenen Ziegelsteinen gehörte zu einem Tunnel, der sich nur stellenweise aus dem Schlamm erhob.
    Es war der Abflusskanal der alten Bahnlinie von Brighton nach Kemp Town.
    »Keiner wusste, dass es ihn noch gibt«, erklärte der Officer. »Der Bagger hat ihn vorhin beschädigt.«
    Roy Grace versuchte, gegen seine Höhenangst anzugehen, holte tief Luft und kletterte den steilen, glitschigen Hang hinunter. Er atmete erleichtert auf, als er heil unten angekommen war. Auf einmal sah der Schlangenkörper viel größer aus. Er schätzte ihn auf über zwei Meter Höhe. Das Loch in der Mitte gähnte wie eine dunkle Höhle.
    Um seiner Rolle als Vorgesetzter gerecht zu werden, schritt er darauf zu, gefolgt von Branson und dem Officer, und schaltete die Taschenlampe ein.
    Er stieg in die Röhre und rümpfte die Nase. Es roch feucht und faulig, Schatten zuckten wild über die Wände. Der Kanal war höher, als er von draußen aussah, und erinnerte an einen uralten U-Bahn-Tunnel.
    »Der dritte Mann«, sagte Glenn Branson unvermittelt. »Du kennst den Film. Den hast du sogar zu Hause.«
    »Mit Orson Welles und Joseph Cotten?«
    »Tolles Gedächtnis! Abwasserkanäle erinnern mich immer daran.«
    Grace richtete den starken Strahl nach rechts. Dunkelheit. Schimmernde Pfützen. Uraltes Mauerwerk. Dann leuchtete er nach links. Zuckte zurück.
    »Scheiße!« Glenn Bransons Stimme hallte von den Wänden wider.
    Obwohl Grace damit gerechnet hatte, erschreckte ihn der Anblick. Ein Skelett, halb im Schlick vergraben, lehnte einige Meter weiter an der Wand. Es sah aus, als hätte es nur auf ihn gewartet. Am Kopf hafteten noch lange Haarsträhnen, doch ansonsten waren nur Knochen und winzige Hautfetzen übrig, der Rest war aufgefressen oder verwest.
    Er näherte sich, darauf bedacht, nicht auszurutschen. Zwei winzige rote Punkte tauchten auf und verschwanden wieder. Eine Ratte. Er richtete den Lichtstrahl auf den Schädel. Das starre Grinsen ließ ihn schaudern.
    Und noch etwas.
    Die Haare. Obwohl ihr Glanz längst verblichen war, waren sie ebenso lang und vom gleichen Weizenblond wie die von Sandy, seiner verschwundenen Frau.
    Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, und wandte sich an den Officer: »Haben Sie
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