Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

So gut wie tot

Titel: So gut wie tot
Autoren: Peter James
Vom Netzwerk:
zeigen. So berechnend es auch klingen mochte, brachte ein brutaler, aufsehenerregender Mordfall meist einen Karriereschub. Medien, Öffentlichkeit und Kollegen wurden auf einen aufmerksam, vor allem aber die Vorgesetzten. Es war ungemein befriedigend, wenn man auf eine erfolgreiche Verhaftung und Verurteilung zurückblicken konnte. Es war mehr als nur ein beruflicher Erfolg – die Familie des Opfers konnte einen Schlussstrich ziehen und nach vorn blicken. Für Grace war dies der wichtigste Faktor überhaupt.
    Er arbeitete gerne an Mordfällen, bei denen es noch eine heiße Spur gab, sodass er mit hohem Adrenalinspiegel Gas geben, spontane Entscheidungen treffen und sein Team motivieren konnte, rund um die Uhr zu arbeiten, getrieben von der Aussicht, den Täter schnell zu fassen.
    Der Fund in dem Abwasserkanal ließ jedoch nicht auf einen frischen Mordfall schließen. Skelettreste. Vielleicht gar kein Mord, sondern ein Selbstmord oder ein natürlicher Tod. Es bestand sogar die entfernte Möglichkeit, dass es sich um eine Schaufensterpuppe handelte, alles schon da gewesen. Die Überreste konnten seit Jahrzehnten dort liegen, da hätten ein paar Tage wirklich keinen Unterschied gemacht.
    Grace verspürte ein schlechtes Gewissen, weil er so zornig war, und warf einen Blick auf die diversen blauen Kartons, die sich in seinem Büro stapelten. Daneben blieb nur noch Platz für den kleinen runden Besprechungstisch und die vier Stühle.
    In jedem Karton lagen die wichtigsten Akten eines ungelösten Mordfalls. Die übrigen Unterlagen drängten sich in den überquellenden Schränken der Kripozentrale, schimmelten in einer feuchten Polizeigarage des Bezirks vor sich hin, in dem der Mord geschehen war, oder lagen zusammen mit den sorgfältig eingetüteten und beschrifteten Beweisstücken vergessen in einem Asservatenkeller.
    Zwanzig Jahre Erfahrung bei Mordfällen sagten ihm, dass dieser Skelettfund vermutlich ebenfalls in einem blauen Karton enden würde.
    Er hatte im Augenblick so viel Papierkram zu erledigen, dass sein Schreibtisch darunter zusammenzubrechen drohte. Außerdem musste er im Auftrag der Staatsanwaltschaft sämtliche Unterlagen für zwei bevorstehende Mordprozesse überprüfen, einer gegen einen schmierigen Internet-Pornohändler namens Carl Venner, der andere gegen einen Psychopathen namens Norman Jecks.
    Er überflog ein Dokument, das Emily Gaylor, eine junge Mitarbeiterin der Justizabteilung von Brighton, erstellt hatte. Dann griff er zum Telefon und wählte eine Nummer, obwohl er nur wenig Befriedigung darin fand, jemand anderem ebenfalls das Wochenende zu verderben.
    Der Angerufene meldete sich sofort. »DS Branson.«
    »Was machst du gerade?«
    »Danke der Nachfrage, Oldtimer, ich wollte nach Hause gehen«, erwiderte Glenn Branson.
    »Falsche Antwort.«
    »Nein, richtige Antwort«, entgegnete sein Detective Sergeant. »Ari hat eine Dressurstunde, da muss ich mich um die Kinder kümmern.«
    »Was ist denn eine Dressurstunde?«
    »Es hat mit ihrem Pferd zu tun und kostet dreißig Mäuse.«
    »Dann muss sie die Kinder eben mitnehmen. Wir treffen uns in fünf Minuten auf dem Parkplatz. Wir müssen uns eine Leiche ansehen.«
    »Ich würde wirklich lieber nach Hause fahren.« »Frag mich mal. Die Leiche wäre vermutlich auch lieber zu Hause«, erklärte Grace. »Sie säße lieber mit einer schönen Tasse Tee vor dem Fernseher, als in einem Abwasserkanal vor sich hin zu verwesen.«
    4
    OKTOBER 2007 Sekunden später hielt der Aufzug ruckartig an, schwankte hin und her und prallte gegen die Wände des Schachts. Es hörte sich an, als würden zwei Ölfässer aneinander stoßen. Dann kippte er leicht, sodass Abby gegen die Tür stolperte.
    Ein erneuter Ruck, freier Fall. Sie wimmerte leise. Einen Sekundenbruchteil lang verlor sie den Boden unter den Füßen, als wäre sie schwerelos. Ein unheimliches Knirschen, und der Boden schien sich wieder zu heben, prallte so hart gegen ihre Füße, dass es ihr den Atem nahm. Es fühlte sich an, als würde man ihr die Beine in den Hals rammen.
    Der Aufzug wackelte und warf sie wie eine leblose Puppe gegen die verspiegelte Rückwand. Noch ein Schlingern, dann war es still. Die Kabine schwankte ganz leicht, der Boden hing schief wie ein Betrunkener.
    »Oh, Gott«, flüsterte Abby.
    Die Deckenbeleuchtung flackerte, ging aus, ging wieder an. Es roch beißend nach verschmorten Kabeln. Eine dünne Rauchfahne kringelte sich langsam an ihr vorbei.
    Sie hielt die Luft an, um einen Schrei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher