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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
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ein. Die geben nicht hundert Prozent, so wie ich. Beim Tischtennis dagegen war ich bestens aufgehoben. Da habe ich allein an der Platte gestanden und für mich gekämpft und es auf diese Art zum DDR -Meister gebracht.
    Mit Tieren war es was anderes.
    Für Tiere war ich aufgeschlossener. Nicht, dass sie es bei mir grundsätzlich gut gehabt hätten. Es gab Verluste. Aus den Kaulquappen, die ich nach Hause schleppte, sind nie Frösche geworden. Die Maus, die mir ein Kumpel schenkte, lebte danach auch nicht mehr lange. Und einen unserer Wellensittiche, die allesamt Peter hießen, holte der Bussard.
    Kurioserweise hausten in den Hochhausgerippen von Marzahn nämlich Falken und Bussarde. Vielleicht waren sie auf Wellensittiche spezialisiert, jedenfalls werfe ich eines Tages einen zufälligen Blick aus meinem Fenster auf den Balkon, wo Peter in seinem Käfig sitzt, und da hängt so ein Marzahn-Adler an seinem Gitter und hackt rein. Das war’s. Einem anderen Peter habe ich ganz gegen meinen Willen die Freiheit geschenkt. Der war so zahm, dass ich ihm Küsschen geben konnte. Und ich habe mir eingebildet, die Anhänglichkeit beruhe auf Gegenseitigkeit. Bin ich mit ihm also raus auf den Balkon getreten und hab ihn fliegen lassen. Wann dreht er denn jetzt um?, habe ich noch gedacht, als der blaue Punkt immer kleiner wurde– und dann war er weg. Ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen.
    Ein Hund, das wär’s gewesen. Ich bin und war ein Hundenarr. Ich träumte von einem imposanten Hund, wie mein Vater sie auf der Arbeit hatte, einem Riesenschnauzer, einem Rottweiler. Ich liebte schon den Geruch, den das Innere des Barkas verströmte, in dem mein Vater seine Hunde transportierte, diesen Geruch nach Fell und Schnauze. Selbstverständlich bekam ich keinen, solange wir im neunten Stock wohnten und meine Eltern beide arbeiteten. Aber ein Hund, das wär’s gewesen.
    Apropos Hunde. Im Sommer nach unserem Einzug am Murtzaner Ring musste ich eine seltsame Erfahrung machen. Alle Hunde meines Vaters reichten offenbar nicht aus, den Klassenfeind aufzuhalten– ungehindert, wie es schien, drang er in die DDR ein. Und das Schlimmste daran war: Ich konnte nicht mal Bedauern darüber empfinden. Ich fand’s auch noch gut.
    Es fing damit an, dass meine Eltern sich einen QEK zulegten. Der QEK war der Klassiker unter den Ost-Wohnwagen, eine bessere Konservendose mit Platz für einen, aber zugelassen für drei. Und gleichzeitig taten sie einen Campingplatz in Schmöckwitz auf, direkt am See, wo sie den QEK die ganze Saison über stehen lassen konnten. Das war fantastisch. In einer Stunde war man da, und dann bin ich mit meinem BMX -Rad-Verschnitt von morgens bis abends durch die Schmöckwitzer Wälder gerast. Das Verrückteste an diesem Campingplatz aber war, dass es dort einen Intershop gab. Eine Kaufhalle, in der man alle erdenklichen Westartikel erwerben konnte. Ausschließlich gegen D-Mark natürlich.
    Und selbstverständlich war dieser Ort für Ostdeutsche tabu. » Dass du uns da niemals reingehst!«, schärften mir meine Eltern ein. Von westdeutschen und holländischen Campern wurde er aber munter frequentiert. Musste ich mir also was einfallen lassen, wenn ich das Ding von innen sehen wollte, und kam auf die glorreiche Idee, leere Flaschen einzusammeln. Pfandflaschen. Das war doppelt genial, denn im Laden gab’s dafür Geld, und weil viele Flaschen nicht ganz leer waren, machte ich auf diese Art lange vor der Wende mit Fanta und Coca-Cola Bekanntschaft– und mit Westspucke vermutlich. Ich also heimlich die Papierkörbe abgegrast, die Flaschen rausgefischt, mich dann ganz heimlich vorn durch den Haupteingang in den Laden geschlichen, mein Geld kassiert und mich umgesehen. Was soll ich sagen? Ich bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen. Westartikel! Ein Laden voller Westartikel! Außer Spielzeugautos hatte ich ja noch nie welche gesehen. Da mussten Zauberkünstler am Werk gewesen sein. Die Sachen waren ganz anders verpackt als unsere, viel schöner, und die dufteten sogar, die rochen richtig lecker. Ich fasste mir ein Herz und investierte zehn Pfennig in eine kleine Milka-Schokolade, bin wieder rausmarschiert und hab aufgepasst, dass mich auch dabei niemand sieht.
    Selbst dieses kleine Schokoladentäfelchen war so hübsch verpackt, dass es schon ein Vergnügen war, es auszupacken. Vollends fasziniert von der sagenhaften Zauberwelt des Klassenfeinds aber war ich angesichts der » West«-Motorräder, mit denen die Holländer hier
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