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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt
Autoren: Johan Theorin
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Hügel hinauf und rollten in das Wohnviertel, wo ein Schild um Rücksicht auf die Kinder bat.
    Achtet auf unsere spielenden Kinder .
    Jan muss an all die Kinder denken, auf die er im Laufe der Jahre geachtet hat. Keines war je sein eigenes gewesen, sondern er war dafür angestellt, sich um sie zu kümmern. Doch sie wurden in gewisser Weise zu seinen Kindern, und wenn seine Vertretungszeit beendet war, war es immer schwer, sich von ihnen zu trennen. Oft weinten sie beim Abschied. Manchmal weinte er auch.
    Plötzlich fällt sein Blick auf ein paar Kinder zwischen den Häusern – vor einer Garage spielen vier Jungs von ungefähr zwölf Jahren Feldhockey.
    Sind Zwölfjährige denn wirklich noch Kinder? Wann hören Kinder auf, Kinder zu sein?
    Jan lehnt sich in den Autositz zurück und schiebt alle tiefer gehenden Fragen beiseite. Jetzt muss er sich darauf konzentrieren, klare Antworten zu geben. Bewerbungsgespräche sind anstrengend, wenn man etwas zu verbergen hat, und wer hat das nicht? Jeder hat seine kleinen Geheimnisse, über die er nicht sprechen möchte. Auch Jan. Aber gerade heute dürfen sie nicht zum Vorschein kommen.
    Vergiss nicht, dass Högsmed Psychiater ist.
    Das Taxi verlässt das Wohngebiet und fährt durch einige Viertel mit niedrigen Reihenhäusern. Dahinter erstreckt sich eine große Wiese, die an eine mindestens fünf Meter hohe, grüne Betonmauer grenzt. Auf der Mauerkrone verläuft in dünnen Linien fest gespannter Stacheldraht.
    Fehlen nur noch hohe Türme mit bewaffneten Wachleuten.
    Hinter der Mauer erhebt sich fast wie ein Schloss ein großes, graues Steinhaus. Jan sieht nur den oberen Teil, schmale Fensterreihen unter einem langen Ziegeldach. Viele der Fenster sind mit Gittern versehen.
    Dort hinter den Gittern sitzen sie, denkt Jan, die Gefährlichsten der Gefährlichen. Die man nicht auf die Straße lassen kann. Und dorthinein gehst du jetzt.
    Er spürt, wie ihm das Herz in der Brust schneller schlägt, als er an Alice Rami denkt und an die Möglichkeit, dass sie in diesem Moment da sitzt und durch eines der Gitter zu ihm herübersieht.
    Ruhig, ganz ruhig.
    Jan ist ein Mensch, der in sich selbst ruht, und er liebt Kinder wirklich. Das wird Doktor Högsmed schon begreifen.
    In die Betonmauer ist ein breites Stahltor eingelassen, doch davor herrscht Halteverbot, also bleibt das Taxi auf der Wendeplatte stehen. Jan ist angekommen. Das Taxameter zeigt sechsundneunzig Kronen. Er gibt einen Hunderter nach vorn.
    Â»Stimmt so.«
    Â»Aha.«
    Der Weihnachtsmann scheint nicht sonderlich begeistert über das Trinkgeld, von vier Kronen kann man keine Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen. Daher steigt er nicht aus dem Wagen, um Jan die Tür zu öffnen.
    Â»Viel Glück mit dem Job«, brummt der Fahrer nur, als er die Quittung durch das halb heruntergekurbelte Seitenfenster reicht.
    Jan nickt und rückt sein Jackett zurecht.
    Â»Kennen Sie jemanden, der dort arbeitet?«, fragt er noch schnell.
    Â»Nicht, dass ich wüsste«, erwidert der Weihnachtsmann. »Aber die meisten, die da oben arbeiten, halten sowieso die Klappe, damit ersparen sie sich eine Menge Fragen über die Leute da drin.«
    Jan sieht, dass sich in der Mauer neben dem breiten Tor eine kleinere Tür geöffnet hat. Dort steht jemand und wartet auf ihn, ein Mann um die vierzig mit schwarzer Drahtbrille und dickem braunem Haar. Auf die Entfernung erinnert er ein wenig an John Lennon.
    Lennon ist von Mark Chapman erschossen worden, denkt Jan. Warum erinnert er sich jetzt daran? Weil dieser Mord Chapman über Nacht weltbekannt machte.
    Wenn Rami in Sankt Patricia ist, welche Berühmtheiten werden dann wohl noch dort weggeschlossen sein?
    Vergiss es , sagt eine innere Stimme. Und vergiss auch den » Luchs « . Konzentriere dich auf das Bewerbungsgespräch.
    Der Mann an der Mauer trägt keinen weißen Arztkittel, sondern nur eine schwarze Hose und ein braunes Jackett, trotzdem ist es offensichtlich, um wen es sich handelt.
    Doktor Högsmed rückt seine Brille zurecht und konzentriert sich auf Jan. Die Beurteilung hat bereits begonnen.
    Jan wendet sich ein letztes Mal an den Taxifahrer. »Können Sie jetzt den Namen sagen?«
    Â»Welchen Namen?«
    Jan deutet mit einem Nicken auf die Betonmauer. »Den Namen des Krankenhauses ... Wie nennen es die Leute?«
    Der Weihnachtsmann antwortet nicht
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