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Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot
Autoren: C Robertson
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Glasgow vergoss höhnische Krokodilstränen, und jeder Regentropfen rie f W inter in Erinnerung, wo er jetzt viel lieber gewesen wäre.
    Aber er war nicht dort, sondern hier, er war nicht bei ihr, sondern bei einem Toten. Und das Schlimmste daran war, dass der Tote den Rest der Menschheit nicht die Bohne interessieren würde. Außer Sammys Mama vielleicht, aber auch darauf hätte Winter nicht gewettet. Sammy lag in seiner eigenen Blutsuppe, und niemanden scherte es.
    Dafür war gar keine Zeit. Keine Zeit für jemanden wie Sammy. Schon in ein paar Minuten würde sich die nächste Leiche melden. Kaum war Sammy vom Boden aufgelesen worden, würde einer seiner Kollegen seinen Platz einnehmen. Der nächste menschliche Abschaum, der sich eine Zielscheibe auf die Brust gezeichnet hatte und nun darauf wartete, als Digitalfoto verewigt zu werden.
    In jeder Sonntagszeitung, Woche für Woche, fand sich eine Notiz über eine tödliche Messerstecherei. Höchstens zwei Absätze, mehr war so was nicht wert. Der Sprössling irgendeiner Mutter wurde mit einem geschickten Stoß ins Jenseits befördert und mit einem halben Dutzend Zeilen abgefertigt. Mehr musste man nicht wissen.
    Winter sah sich um. Offenbar sorgte Messerstecherei 46 auch bei den anderen nur für begrenzte Begeisterung. Ein Krimineller stach den anderen ab. Ein Krimineller weniger. Noch ein paar Tausend Mal, und es wären keine mehr da. Und damit wurde die Akte geschlossen.
    Die uniformierten Kollegen hatten die Schnauze voll. Der Detective Inspector hatte die Schnauze voll. Und Campbell » Two Soups« Baxter, der Chef der Spurensicherung, anscheinend erst recht.
    Trotzdem würden sie ihre Pflicht erfüllen. Sie würden Sammy Ross genauso viel Aufmerksamkeit widmen wie allen anderen. Auch ihn würden sie sorgfältig vermessen, abpinseln, nach allen Regeln der forensischen Kunst untersuchen und danach gründlich waschen, bevor er irgendwo verscharrt wurde oder in Flammen aufging.
    Und sollten wider Erwarten Zeugen auftauchen, würde man sie ausfragen; man würde an die entsprechenden Türen klopfen und den polizeibekannten Bekanntenkreis aushorchen. Vielleicht, aber nur vielleicht, würden die Cops dadurch herausfinden, wer den Dealer abgestochen hatte. Der Glasgower Bevölkerung wäre es egal, und zwar nicht nur vielleicht.
    Bestimmt hätte man diesen traurigen Sonntagmorgen an noch ungemütlicheren Orten verbringen können als auf dem verregneten Blochairn Market, aber im Moment wollte Winter beim besten Willen keiner einfallen. Die Eingeborenen am Tor würden sich nicht mehr lange hinhalten lassen. War da nicht bereits das Geräusch von Schleifsteinen auf Mistgabeln zu hören? Regentropfen plätscherten in den burgunderroten Teich, in dem Sammy ertrunken war, und schlugen Wellen, die im Vorhinein alle Berechnungen zu Blutspritzern zunichtemachten, die sich Two Soups und seine Untergebenen einfallen lassen würden. Aber eigentlich war auch das egal.
    Winter hatte es einfach schon zu oft gesehen.
    In Glasgow hatte man bessere Chancen, ermordet zu werden, als in allen anderen Städten Westeuropas, und in Sachen Messerstechereien lag die » No Mean City«sogar weltweit ganz vorn. Als Fotograf, der regelmäßig die Ergebnisse ablichten durfte, hatte man jedenfalls gut zu tun.
    Seit sechs Jahren war er jetzt dabei, aber dieser eine Moment, diese eine Sekunde, bevor er die Leiche zum ersten Mal erblickte, war immer gleich, vom ersten Tag an bis heute. Jedes Mal spürte er zur Hälfte Erregung und zur Hälfte eine gewisse Furcht. Fifty-fifty. Er fürchtete sich vor dem, was er um jeden Preis sehen wollte. Ja, ein Teil seiner Furcht rührte daher, dass er ganz genau wusste, wie sehr er es sehen wollte.
    Wenn er sich sagte, dass die sechsundvierzigste Messerstecherei bloß öde Routine war, machte er sich im Grunde etwas vor. Ihn interessierte immer noch brennend, was geschehen war. Deshalb stand er jeden Morgen auf, ob es ihm gefiel oder nicht.
    Er war da, bevor die Blumen kamen, bevor der Pöbel einen neuerlichen Verlust beweinen konnte. Er war da, wenn der Körper schon den Geist aufgegeben hatte, aber das Blut noch heiß war. Ein seltsames Privileg. Man konnte noch sehen, was der Mensch gewesen war, konnte ahnen, was aus ihm hätte werden können, wenn es ihn nicht vorzeitig aus der Bahn geworfen hätte. Und dieser Anblick brachte ihn jedes Mal fast um den Verstand.
    Er sah den Moment, in dem der Tod zugeschlagen hatte– erstarrt wie in Bernstein. Schon jetzt spürte
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