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Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot
Autoren: C Robertson
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zu begeben, die ihre Behausung aber natürlich längst verlassen hatte. Aufgeschlitzte Haut lächelte ihm entgegen. Die Schätze, die sie einst behütet hatte, verrotteten bereits, der Puls des Lebens war verstummt.
    Scharf stellen. Abdrücken. Jedes Detail aus jedem Winkel. Wie gern hätte er das T-Shirt angehoben, um das volle Ausmaß der Zerstörung zu begutachten, aber das wäre gegen die Vorschriften gewesen. Er durfte schauen, aber nicht anfassen, dokumentieren, aber nicht eingreifen, beobachten, aber auf keinen Fall etwas verändern.
    Schwarz-goldene Designer-Sportschuhe, Kostenpunkt mindestens £ 120. Abgrundtief hässliche, sehr modische Treter. Dazu eine Burberry-Kappe, die Sammy vom langen, ungepflegten Haar gepurzelt war und nun neben seinem Kopf lag, eine marineblaue Ben-Sherman-Jacke, gemustert mit Sammys eigenem Blut, eine zertrümmerte Tag Heuer am Handgelenk, die anders als das Herz ihres Besitzers trotz allem weiterschlug. Alles zusammen sprach eine deutliche Sprache: Geld. Geld und schlechter Geschmack. Ein Proll mit ordentlich Kohle.
    Nein, sagten die blauvioletten Lippen. Bitte, sagten die Augen. Ein Kaninchen, das in den Scheinwerfern des Schicksals in Schreckstarre verfällt. Ein Kind von Gier und Armut– eine ungute Mischung.
    All das las Winter in dem zerstörten Körper, in der Wunde in seinem Oberkörper, in der eingefrorenen Mimik. Sammy war zu einem Foto geworden.
    Deshalb war Winter Fotograf. Er wollte zeigen, wie es wirklich war, er wollte jede Warze, jede Beleidigung, jede Verletzung zeigen. Und warum? Weil eine Stadt ebenso durch ihre hässlichen Wunden definiert wurde wie durch ihre Architektur. Er hatte sich oft gefragt, was wohl zum Vorschein käme, wenn man der Stadt mit dem Messer durch die Eingeweide fahren würde. Wahrscheinlich die blaugrüne Galle der Verbitterung. Aber auch viel Hoffnung. Glasgow war eine großartige Stadt. Eine großartige Stadt, in der schreckliche Dinge geschahen. Und diese Dinge sollte man nicht ignorieren, sondern für alle Zeiten bewahren.
    Seine Arbeit führte ihn an Orte, die die meisten Normalbürger nie zu Gesicht bekamen, an dunkle Orte, wo sich das erkaltete Leben in blutigen Pfützen sammelte. Er dokumentierte den Moment vor dem Einmarsch der Trauernden, wenn das ganze Leben noch da war, gemütlich hingebettet neben den Tod.
    Das würde er wohl niemals vollständig begreifen– wie nah beides nebeneinanderlag. Der Bruchteil einer Sekunde, eine Nanosekunde, ein Ångström trennte das Leben vom Tod. Winters Aufgabe war es, diesen Augenblick, die Verwandlung von Leben in Tod, von Hoffnung in Verzweiflung, direkt an der Quelle, auf dem Gesicht des Toten, festzuhalten. Seine Werkzeuge waren eine Nikon FM 2 und eine Canon EOS -1D , aber sein Ziel war die Ewigkeit.
    Ja, es war wirklich schön.

2
    » Wenn ich mich recht entsinne, kommt der gute Sammy aus Royston. Auf jeden Fall irgendwo aus dem East End.« Eine Stimme in seinem Rücken scheuchte Winter aus seinen Tagträumen auf. Addisons Stimme. » Zweiunddreißig oder dreiunddreißig Jahre alt. Ziemlich alt für einen, der sein Zeug noch immer auf der Straße vertickt. Dürfte keine großen Sprünge gemacht haben. Alles eher im kleinen Stil– Koks, Heroin, Temazep, Ecstasy, Gras, Steroide, Aufputsch- und Beruhigungsmittel. Egal was die Kundschaft verlangt hat, der kleine Sack hier hat es ihnen ins Maul, in den Arm oder in die Nase gejagt.«
    Addison war wütend, so viel war klar. Er hatte diese Scheiße schon viel zu oft mitgemacht.
    » Ein einfacher Fußsoldat in Malky Quinns Armee«, fuhr er fort. » Eigentlich komisch, dass Malky und Co. nie mit einem Loch in der Brust im Regen liegen. Immer nur Sammy Ross und seinesgleichen. Und weil es einen von Malkys Jungs erwischt hat, kriegt jetzt irgendwer anders Ärger. Und damit höchstwahrscheinlich wir alle. Verdammte Scheiße. Noch nicht mal acht Uhr, und der Tag ist schon im Eimer. Ich will jetzt mein Speckbrötchen.«
    Die Fotos waren im Kasten, aber Winter konnte den Blick noch nicht von Sammy lassen. Es nervte ihn, dass Addison ihn hetzte. Aber was soll’s, dachte er, als er Baxters Gesichtsausdruck bemerkte, vielleicht war es sogar besser so. Der alte Griesgram sah aus, als würde er jeden Moment explodieren.
    Winter beschloss, den bohrenden Blick des Forensikers zu ignorieren, und stand auf. » Du denkst zu viel ans Essen, Addy. Kein Wunder, dass du so fett bist.«
    DI Addison war eins neunzig groß und spindeldürr; gerade weil er so riesig
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