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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders
Autoren: Jill Hathaway
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versprechen musste – unter einem Baum, in der Dämmerung. Meine Fingerspitzen finden es noch vor meinen Augen.
    Der große Gatsby.
    Ich schleiche die Treppe hinunter, hole die Jacke vom Haken und nehme eine Taschenlampe aus der Kommode im Flur. Vorsichtig öffne ich die Hintertür gerade so weit, dass ich hindurchschlüpfen kann.
    Die Nacht ist kalt, aber das ist mir nur recht. Ich muss etwas anderes spüren als den Verlust, den Schmerz. In unserem Garten steht nur ein Baum, eine große Eiche, aber sie ist genau richtig. Ich setze mich darunter und schlage das Buch auf. Es dämmert noch nicht, aber das Licht muss reichen.
    Genau wie Zane gesagt hat, ist es eine völlig andere Erfahrung. Ich lese nicht, um eine dumme Englischarbeit zu schreiben. Ich lese für mein Leben, für Zanes Leben. Ich lese, um das Buch mit seinen Augen zu sehen. Zuerst bewege ich die Seiten nur langsam, doch ehe ich mich versehe, bin ich zur Hälfte durch.
    Dann wird es hell, und das Buch ist ausgelesen. Es hat mich verschlungen und wieder freigegeben, und ich bin ein anderer Mensch als zuvor. Ich lege mich hin und sehe zu, wie die Sonne langsam aufgeht. Vielleicht habe ich Zane nie richtig gekannt, vielleicht war aber der Teil, den er mir gezeigt hat, das einzige wirklich Reale an ihm. Ich bleibe dort liegen, bis die Sonne in meinen Augen brennt. Dann stehe ich auf.

29. Kapitel
    A m nächsten Samstag steht mein Vater in der Küche und schichtet Nudeln über italienische Wurst, Mozzarella und Spinat. Mattie sitzt am Esstisch nebenan vor ihrem Laptop. Es ist ein vertrautes Bild, aber nichts daran fühlt sich richtig an. Ich begegne meinem Vater mit Vorsicht, seit ich weiß, dass er uns jahrelang belogen hat – nicht nur über seine Affäre, sondern auch über seine
dritte
Tochter. Ich bin höflich, aber nicht sehr herzlich.
    Ich habe entschieden, dass wir nicht mit dieser Lüge weiterleben können. Eigentlich hätte er selbst darauf kommen müssen, aber ich bin das Warten leid. Ich muss die Dinge ans Licht holen und alles gerade rücken. Also setze ich mich auf einen Hocker ihm gegenüber an der Küchentheke. Das gerahmte Foto meiner Mutter liegt schwer auf meinem Schoß.
    »Dad? Ich muss mit dir reden.«
    Er sieht wohl, wie ernst es mir ist, denn er stellt den Beutel mit Reibekäse hin und beugt sich vor. »Was ist los, Vee?«
    Ich halte das Foto hoch. Dann entferne ich die Rückseite, nehme den Schlüssel und lege ihn behutsam auf die Theke. »Was ist das?«
    Als er spricht, klingt seine Stimme ruhig, und er schaut mir genau in die Augen. »Der Schlüssel zu meinem Schreibtisch. Ich verstecke ihn, weil ich darin wichtige Dokumente aufbewahre. Beispielsweise deine Geburtsurkunde.«
    »Und das ist alles?«
    Meine Schwester hat uns gehört, kommt in die Küche und sieht uns an.
    Mein Vater wendet sich ab, er kann meinen durchdringenden Blick nicht ertragen. Als er mich wieder ansieht, hat er Tränen in den Augen. »Ich weiß, es ist Zeit, es euch zu sagen. Ich hatte mich zu sehr daran gewöhnt, der Held zu sein. Der Mann, der Babys rettet und danach zu seinen wunderschönen Töchtern nach Hause fährt. Nachdem ich euch das erzählt habe, werdet ihr vielleicht anders für mich empfinden.«
    »Wovon redest du, Dad?« Mattie setzt sich neben mich auf einen Hocker.
    Ich wappne mich. »Na los.«
    »Ich nehme an, du hast schon in die Schublade geschaut. Und die medizinischen Unterlagen gefunden.«
    Ich nicke.
    »Was ist los? Welche Schublade?«, will Mattie wissen.
    Mein Vater holt tief Luft. »Ich hatte eine Affäre, Mattie. Vor vielen Jahren, als eure Mutter noch lebte. Vee war noch ein Kleinkind. Und eure Mutter war schwanger mit dir.«
    Mattie sieht ihn bestürzt an. »Du hast mit jemandem geschlafen? Während Mom schwanger war?«
    Er schaut auf seine Hände, die mit Soße bekleckert sind. Er sieht niedergeschlagen aus. Fast könnte er mir leid tun. Aber wir müssen das hinter uns bringen.
    »Ja, wir hatten Streit. Sie war wütend, weil ich so viele Überstunden machte. Sie warf mir vor, ich hätte eine Affäre. Ich dachte … ich dachte, vielleicht sollte ich wirklich eine anfangen, da sie es ohnehin glaubte.«
    Mattie schlägt die Hand vor den Mund. Ich streiche ihr sanft über den Rücken. Ich weiß, wie entsetzlich es war, als ich es herausfand. Für sie muss es noch schlimmer sein, nachdem sie ohnehin so viel durchgemacht hat.
    »Es war nur dieses eine Mal, aber es reichte. Diese medizinischen Unterlagen, Vee, die von Allison
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