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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders
Autoren: Jill Hathaway
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ich beginne zu würgen.
    Dann wird alles schwarz.

27. Kapitel
    Ich stehe auf einem Anlegesteg am Ufer eines Sees, wo ich früher im Ferienlager war. Mein Vater hat meine Schwester und mich jeden Sommer hergeschickt, nachdem meine Mutter gestorben war. Es war günstiger als die Tagesbetreuung. Wenn ich Heimweh hatte – nicht nach zu Hause, sondern nach Mom –, ging ich immer zu diesem Steg.
    Das einzige Geräusch kommt von den kleinen Wellen, die ans Ufer klatschen. Ein friedvolles Gefühl durchströmt mich. Ich lege mich hin, und mein Bauch drückt gegen das harte Holz. Ich kann den Arm herunterhängen lassen und mit dem Finger die Wasseroberfläche kitzeln. Der See ist so kühl, während mein ganzer Körper heiß ist. So heiß.
    Ein furchtbarer Hustenanfall erfasst mich, und ich krümme mich zusammen. Meine Lungen stehen in Flammen. Meine Ellbogen, meine Zehen stehen in Flammen. Als der Husten aufhört, strecke ich meinen Körper aus und schaue zum bewölkten Himmel empor. Ich bete um Regen, der mein brennendes Fleisch kühlen möge.
    Dicke Tropfen fallen auf mich nieder. Prallen von meiner Haut ab und fließen auf den Steg. Ich öffne den Mund, heiße die Feuchtigkeit mit der Zunge willkommen. Der Regen durchweicht meine Kleidung und mein Haar.
    »Sylvia.« Eine honigsüße Stimme hallt über das Wasser.
    Meine Mutter.
    Ich setze mich auf und schaue mich um. Sie rudert in einem roten Kanu auf mich zu. Sie zieht das Paddel stetig durchs Wasser, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite, stets im Wechsel. Ich blinzle, und sie ist immer noch da, steuert das Boot parallel zum Anleger.
    Auf dem Boden des Bootes sehe ich ein Nest aus Decken und darin ein Baby mit dunklen Augen. Meine Mutter hebt das Kind hoch und steht plötzlich neben mir auf dem Anleger.
    »Möchtest du deine Schwester halten?« Sie reicht mir das Bündel mit einem sanften Lächeln.
    »Das ist nicht Mattie«, sage ich unsicher.
    »Nein. Deine andere Schwester. Die du nie kennengelernt hast.«
    Eine andere Schwester? Wovon redet sie?
    Ich nehme das Kind in die Arme, es ist so leicht.
    Meine Mutter starrt mich an, als wollte sie sich mein Gesicht einprägen. »Du kannst hier bei uns bleiben, wenn du möchtest.« Sie macht eine ausholende Geste zum See, den Wäldern, dem endlosen Himmel.
    »Was ist das für ein Ort? Der Himmel?«
    Sie zuckt mit den Schultern.
    »Sei nicht böse, Mom, aber hier hat es mir schon als Kind nicht sehr gefallen. Den Rest der Ewigkeit will ich auf gar keinen Fall hier verbringen.«
    Sie lächelt. »Ich verstehe.«
    »Ich muss zurück.«
    »Ja, du hast noch so viel zu tun.«
    Ich fange an zu weinen.
    Meine Mutter kommt näher, legt einen Arm um mich und streicht über meinen Rücken. Ich bewege mich nicht, sauge nur die Berührung ihrer Hand in mich auf. Das Baby in meinen Armen gluckst.
    »Das hast du gut gemacht«, sagt sie sanft.
    Sie zieht die Hand zurück. Obwohl ich sie am liebsten anflehen würde zu bleiben, kann ich es nicht. Wie denn auch? Sie nimmt das Baby, legt es wieder in die Decken und steigt ins Kanu, erst mit einem Fuß, dann mit dem anderen, wobei sie sorgsam balanciert.
    Sie dreht sich zu mir um und wirft mir eine Kusshand zu.
    Dann ist sie verschwunden.
    In der Ferne heulen Sirenen, sie kommen näher. Das Gras unter mir ist kalt. Ich drehe mich auf die Seite und huste, bis meine Kehle wund ist. Jemand streichelt mir die ganze Zeit übers Haar. Dumm wie ich bin, glaube ich einen Moment lang, es könnte meine Mutter sein.
    Ich mache ein Auge auf und sehe Samantha in der Nähe liegen. Einige Cheerleaderinnen beugen sich über sie und halten weinend ihre Hand.
    »Vee, sag doch was.«
    Ich drehe mich um und schaue zu Rollins auf. Er sieht mich mit wildem Blick an.
    »Ist Samantha tot?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nur bewusstlos. Der Rettungswagen ist unterwegs.«
    »Wie sind wir rausgekommen?«
    Er schaut auf seine Füße. »Ich … ich bin dir nachgelaufen.«
    Ich hole tief Luft und setze mich auf, damit meine Worte ihre volle Wirkung entfalten. »Weißt du eigentlich, wie dumm das war?«
    Rollins grinst. »Das musst du gerade sagen.« Dann wird er ernst. »Vee, mach so was gefälligst nie wieder. Ich dachte … ich dachte … mensch, Vee, weißt du denn nicht, was ich für dich empfinde?«
    Ich wende mich ab. Ich glaube, ich weiß, was er meint. Wir sind immer darum herumgetanzt, schon seit dem Schulball im letzten Jahr. Vielleicht habe ich es unterdrückt, weil ich keine Beziehung wollte, die unter
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