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Slant

Slant

Titel: Slant
Autoren: Greg Bear
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Zentralbahnhof ihres Ichs. Aber sie spürt nichts davon.
    Ahmed befestigt Sender an den kleinen silbrigen Nano-Nippeln, die nicht länger als ein Daumennagel sind. Mehrere Minuten lang überprüft er die Daten, die in der Kamera eintreffen. Lämpchen blinken zufriedenstellend. »Die Verbindung steht«, teilt er Francis mit.
    Alice legt den Bademantel ab. Minstrel ist bereits nackt. Francis lässt die Hände wie ein Schmetterling flattern, dann verschränkt er sie.
    »Auftritt der Geister und des Archimagus. Aufnahme«, sagt er. »Klick eins.«
    Ahmed etikettiert die Hintergrundschicht. Die Kamera summt.
    Francis zitiert aus dem Gedächtnis:
     
»Hernieder zu des Schläfers Stirn und Brust
Neigt sich der Traum und haucht mit leisem Wehn
Ihm sanft ins Herz die Schauer süßer Lust,
Dann lässt er ihn besonnte Fluren sehn,
In denen Silberbäche murmelnd gehn,
Und endlich zeigt er ihm die Huldgestalt,
Die kosend naht mit schmeichlerischem Flehn,
Und seufzend klagt, sein Herz sei hart und kalt,
Indes in Liebesglut ihr Busen überwallt.«
     
    Francis strahlt. »Eine erstaunliche Parallele zu deiner eigenen Karriere, liebste Alice! Wie viele Männer hast du heimgesucht?«
    Alice geht nicht darauf ein.
    Auf der Bühne hinter ihnen führt der böse Zauberer Archimagus als durchscheinende und grobe 3-D-Skizze den Rotkreuzritter durch Träume von dunklen Gemächern, in denen sich Körper in Seidengewändern winden. Der ungläubige Ritter zieht Wandbehänge zur Seite, bis er die entblößte Haut der falschen Una in intimer Pose mit einem ebenso falschen Geist in Gestalt eines Junkers erblickt. Das meiste beachtet Alice gar nicht. Was sie und Minstrel tun sollen, hat nur wenig mit der allgemeinen Handlung zu tun.
    Alice blickt Minstrel in die Augen. Wie immer ist sie vom Winkel der dunkelbraunen Augen Minstrels, der Strenge seiner Nase und der Zuversicht seines professionellen Lächelns beeindruckt. Ihre Chemie ist echt und zuverlässig.
    »Du wirst immer die schönste Frau auf Erden sein«, murmelt Minstrel ihr zu, und sie weiß, dass er es ehrlich meint. Er zieht zwar Männer vor, aber Alice übt auf ihn denselben Reiz wie er auf sie aus – zuverlässig und vorhersagbar. Wenn sie zusammenleben würden, hätten sie sich innerhalb eines Jahres an ihren Gegensätzen zerrieben; aber in dieser professionellen Umgebung können sie die zeitliche Frist erheblich strecken.
    Francis beobachtet die Kamera, seine Leni. Sie scheint glücklich.
    Was Alice als Erstes spürt, ist die sehnsüchtige Wärme, nicht unähnlich dem, was ein Baby für seine Mutter empfindet. Sie wünscht sich, näher zu sein. Minstrel berührt mit dem Handrücken ihr Gesicht, streichelt ihre Wange, während er trotzdem die Distanz wahrt. Er reagiert genauso, wie nahezu alle Männer auf sie reagieren, wenn sie die Chance dazu haben: Sie bemerkt das Erröten seiner Brust, den fokussierten Blick seiner Augen, die beginnende Erektion. Häufig findet sie Erektionen amüsant, denn Männer scheinen im erregten Zustand aus dem Gleichgewicht zu geraten, als würden sie wie Kräne umstürzen, wenn sie sie nicht stützen würde. Doch Minstrels Erektion ist ein entzückender Schock.
    Der köstliche Schmerz der Erwartung in Verbindung mit inneren Selbstzweifeln wirft sie in die ersten feucht-kalten Experimente ihrer Jugend zurück (»Love for sale, appetizing young love for sale…«, Billie Holiday interpretiert Cole Porter), über deren Erfolg sie erstaunt und entzückt zugleich war.
    Zuerst küssen sie sich, beugen sich vor, um weiteren Kontakt zu vermeiden: rohe Sanftheit der Lippen wie zerknüllte Seide, schlüpfrige Glätte der Zungen.
    »Gut«, sagt Francis. Er zeichnet nichts Taktiles, nichts von der Oberfläche auf, nur die tiefen Gefühle, den Puls der Sehnsucht im Sympathikus, das Nachlassen der vaskularen Spannungen im Parasympathikus, die Botschaft des intensiven Wohlbefindens, das von der Urteilsinstanz der Amygdala ausgegeben wird – all das weiß Alice, ohne sich dessen bewusst zu sein.
    Ihre Schenkel wirken riesig und demonstrativ – auch sie könnte das Gleichgewicht verlieren. Ich bestehe nur aus Schenkeln. Minstrel umarmt sie, presst seine Unterarme gegen ihren Rücken, um sich dann zurückzuziehen, bis seine Finger über ihre Rippen reiben, nur knapp über der Schwelle eines Kitzeins. Zungen zärteln. Dann ist es für einen Moment zu viel, und sie unterbricht den Kuss, um ihre Nase an seinem Hals ruhen zu lassen, erschaudernd.
    Minstrel war schon
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