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Slant

Slant

Titel: Slant
Autoren: Greg Bear
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sich berührenden Knie frei lässt. In alter Freundschaft liegt ein gewisser Trost. Sie kennt Minstrel nun schon seit neun Jahren. Sie haben sich schon zwanzig Minuten lang unterhalten, und Francis ist immer noch nicht für sie bereit.
    »Es gelingt dir immer wieder, mich zu überraschen, Alice. Aber ich will auf etwas Bestimmtes hinaus. Versuch das Wort zu sagen«, fordert er sie heraus. »Das Tetragrammaton.«
    Sie denkt darüber nach, dann sagt sie es. Dazu hebt sie die Wangen, krümmt die Lippen und neigt abfällig den Kopf, während ihre Stimme nicht sehr laut und ohne jede Betonung ist.
    »Du wirst dem Wort nicht gerecht«, beklagt sich Minstrel. »Gott weiß, ich habe oft genug gehört, wie du es gesagt hast. Sag es professionell, wenn du schon keinen persönlichen Zugang findest.«
    Alice funkelt ihn verärgerten.
    »Ich meine es ernst«, sagt er. »Ich will auf etwas hinaus.«
    Minstrel wirkt heute recht heftig und drängend. Aber sie sagt das Wort noch einmal. Sie kneift die Augen leicht zusammen und runzelt die Nase.
    Minstrel schnieft. »Du bist nicht mit dem Herzen dabei«, sagt er zweifelnd, »aber trotzdem liegt ein gewisses Knurren darin. Spürst du es?«
    Alice schüttelt den Kopf. »Es ist nur ein Wort, von dem jemand anderer will, dass ich es sage, und so klingt es nun einmal, wenn jemand will, dass ich es sage.«
    Minstrel kichert und tippt ihr mit einem langen breiten Finger auf ihr Knie. »Wie alle Frauen bist du nicht, was du zu sein vorgibst.«
    Alice ist gleichzeitig verdutzt und verärgert. »Was soll das bedeuten?«
    »Das Wort ist ein Knurren. Es ist alt und hart und stumpf – es ist ein Steinhammer. Du sagst es, wenn du den Menschen, mit dem du zusammen bist, wirklich brauchst und wenn du keine Angst hast, ihm dein Innerstes zu zeigen. Es bedeutet, dass das, was geschieht, deine wilden Instinkte berührt.«
    »Blödsinn!«
    »Das hast du mit hinreichender Beiläufigkeit gesagt«, stellt Minstrel fest. Er steht auf, legt einen Finger an die Wange und neigt den Kopf. In dieser gelassenen Pose erinnert er Alice an einen Heiligen von El Greco. Ihm fehlt nur noch ein loser blauer Lendenschurz.
    Sie spürt die vertraute tiefe Zuneigung, das Verlangen, das sich während der mehr als fünfzig professionellen Begegnungen in einunddreißig Vids nicht verringert hat, seit ihrem allerersten, das sie mit neunzehn gedreht hat. Das ist jetzt zehn Jahre her, und damals war er noch schmalbrüstig und sich seines speziellen Talents noch nicht bewusst gewesen. Nun ist er schlank und panasiatisch braun, mit ansprechend herausgearbeiteten Muskeln. Sein Körper ist ein Tempel und gleichzeitig ein Büro. Das lange Haar fällt von der hohen Stirn nach hinten, die lange, dünne Patriziernase ist fast zu spitz und die Lippen sind stolz, als hätte man ihn vor kurzem geohrfeigt.
    Alice täuscht gelangweiltes Desinteresse vor und beschleunigt dann plötzlich auf laszive Geschwindigkeit. »Also gut. Fick mich.« Sie sagt es mit ihrer besten und aufreizendsten professionellen Betonung.
    »Immer noch nicht sehr überzeugend«, neckt Minstrel sie.
    »Fick mich mit deinem… Penis«, sagt Alice. Beide lachen.
    Minstrels Gesichtsausdruck wechselt vom Heiligen zum asketischen Cherub. »Absolut und hoffnungslos schlaff. Nur ein Arzt oder Therapeut würde ihn so nennen, damit man sich minderwertig fühlt. Die meisten Männer ziehen Schwanz vor.«
    »Nur Hunde wedeln mit dem Schwanz«, sagt Alice. Jedes Gespräch mit Minstrel, selbst mitten in der längsten Pause, ist ansteckend. »Penis klingt wie ein Planet oder ein Land.«
    »Vagina, Labia, Klitoris«, souffliert er.
    »Wie Figuren aus einem Renaissance-Vid«, sagt Alice. Sie grübelt. »Sie alle leben am Königshof des Landes Penis. Vagina berührt niemals einen anderen Menschen, ohne Handschuhe zu tragen. Sie ist unnahbar und kleidet sich in schwarze Spitze.«
    Minstrels Gesicht erhellt sich. »Labia ist eine gefährliche Frau, die Schwester von Vagina und Klitoris«, sagt er. »Eine Vampirin und Giftmischerin.«
    »Klitoris ist die jüngste, noch jungfräuliche Schwester«, sagt Alice. Sie liebt solche Spiele. »Sie alle sind die Töchter von…« Ihre Zunge dringt katzengleich ein winziges Stück durch die Lippen, wenn sie nachdenkt. »Lukrezia Menarchia.«
    »Bravo!«, ruft Minstrel und applaudiert.
    Alice verbeugt sich und fährt fort. »Klitoris ist die einzige, die noch Anstand besitzt. Sie errötet vor Scham über das, was ihre Familie treibt.«
    Minstrel
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