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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch
Autoren: Lisa Papademetriou
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dass es ihm die Beine wegriss. Seine Füße fanden keinen Halt und er schaffte es nicht, wieder hochzukommen. Der aufgewirbelte Sand brannte ihm in den Augen, sodass er nichts mehr sehen konnte. Doch stärker als seine Angst war der Drang, dieses Mädchen zu retten. Seine Hände wollten nach ihr greifen, bekamen sie aber nicht zu fassen. Er kriegte keine Luft mehr …
    Da spürte er plötzlich, wie er von starken Armen gepackt wurde. Einen Augenblick später brach sein Kopf durch die tosende Wasseroberfläche. »Will!« Sein Onkel Carl war bei ihm und zerrte ihn zum Ufer. »Will, geht’s dir gut?«
    Will wollte etwas sagen, schluckte dabei aber Salzwasser und bekam einen Hustenanfall.
    Die Wellen kannten kein Erbarmen und griffen unerbittlich an, doch Carl kannte das Meer gut. Obwohl Wills Verstand gerade verwirrt war, folgte sein Körper einem tieferen Überlebensinstinkt. Bereitwillig ließ er sich von seinem Onkel zum Ufer führen. Bei jeder Welle duckten sie sich und ließen sie über sich hinwegrollen, bis sie endlich bei den Wellenbrechern angelangt waren. Mühsam kämpften sie sich bis zum Sandstrand weiter. Onkel Carl ließ ihn nicht los. Nicht, als sie den Strand erreichten, und auch nicht, als die Wellen ihnen nur noch bis zu den Knöcheln reichten und sie erschöpft auf ihre Knie sanken.
    »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«, schrie Carl, während Will von heftigem Husten geschüttelt wurde. »Was zum Teufel sollte das?«
    Will schüttelte den Kopf. »Ich hab sie …« Eine weitere Hustenattacke überkam ihn. Der salzige Geschmack des Meerwassers war kaum zu ertragen. Doch er musste es seinem Onkel sagen. Er musste ihn wissen lassen, dass es nicht seine Schuld gewesen war. »Ich hab sie nicht zu packen gekriegt.«
    In Carls Augen flackerte etwas auf, das Will nicht zu deuten vermochte. »Wen denn?«
    Der Regen prasselte auf Wills Gesicht und rann ihm in die Augen. »Das Mädchen mit den schwarzen Haaren.«
    Carl schüttelte den Kopf. »Welches Mädchen denn?«
    »Sie ist einfach so ins Wasser gegangen … Ich wollte sie aufhalten …« Will zeigte hinaus auf die tobende Brandung. »Genau da hat sie gestanden, etwa fünf Meter vor mir.«
    Carl schüttelte wieder den Kopf, sagte aber nichts. Will kam sein Schweigen vor wie ein Schlag ins Gesicht. »Ich denke, es wäre wohl besser, wenn du jetzt nach Hause fährst«, sagte Carl. Seine Stimme klang ganz ruhig. Er stand auf und zog Will auf die Füße. »Das mit dem Boot schaff ich schon alleine.«
    »Aber ich bin doch extra hergekommen, um dir zu helfen!«, protestierte Will. Seine Stimme hörte sich schwach an und klang in der stürmischen Luft noch dünner.
    »Du wirst jetzt schön nach Hause fahren«, beharrte Carl. »Nimm mein Auto, ich fahr dann nachher den Pick-up.« Er klopfte Will auf die Schulter und seine Hand fühlte sich so schwer an wie ein Anker. »Ich komm gleich nach.« Er blickte Will kurz tief in die Augen, drehte sich dann um und stapfte durch den Sand davon.
    Will war übel. Er starrte hinaus auf das dunkelgraue tobende Wasser. Was zum Teufel geht hier vor?, dachte er. Eine gigantische Welle rollte heran, stürzte sich auf den Strand, lief sanft aus und bewegte sich tastend auf ihn zu wie ein ausgestreckter Arm. Sie griff nach seinen Füßen, zog sich dann zurück und versank schließlich im Sand. Jenseits der Wellenbrecher war nichts mehr von seinem Kampf um das Leben des Mädchens zu sehen, kein Indiz, dass sie wirklich dort gewesen war. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?

Kapitel 2
    Aus dem Seemannslied (Altes Volkslied)
     
    Es toben die Wellen,
    Es heulet der Wind,
    Doch der Mann ist unverzagt.
    Er hat vernommen
    Gesang aus dem Sturm,
    Drum hat er aufs Meer sich gewagt …
     
    Um sie herum war nichts als Wasser. Sie sah den Horizont nicht mehr und das Ufer musste meilenweit entfernt sein. Ihr war völlig schleierhaft, wie sie überhaupt dorthin gekommen war.
    Der Mond schien herab auf die stille schwarze See. So viele Sterne hatte sie noch nie gesehen, wie funkelnde Diamanten waren sie über den ganzen Himmel verteilt. Die Sternbilder allerdings kamen ihr fremd vor. Wo war sie nur?
    Weiter, flüsterte eine innere Stimme ihr zu. Noch viel weiter. Sie schwamm ein kleines Stück vorwärts, dann hielt sie inne und trat Wasser. Etwas streifte ihren Arm. Blitzschnell zog sie ihn zurück. Es platschte – in der Stille des dunklen Meeres klang das Geräusch nahezu ohrenbetäubend laut.
    Plötzlich fiel ihr auf, dass sich der
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