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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Autoren: Martin Clauß
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Frogs Mund.
    Auch wenn Darrens Beisetzung mit jeder Minute näher rückte, stellte sich bei ihm keinerlei feierliche Stimmung ein.

6
    Und nun lag er in Mutter Erdes dunklem Bauch, jedes Luftholen fiel kleiner, flacher aus als das vorige, und mit jedem dieser sparsamen Atemzüge wurden Befürchtungen zu Gewissheiten. Klar, dass die Indianer Darren nicht mehr lebend sehen durften. Und der einfachste Weg, dies zu verhindern, war, nichts zu tun. Aus den Augen, aus dem Sinn. Für Phil, den Aufhänger, mochte es unbefriedigend sein, den Sterbenden nicht zucken und röcheln zu sehen. Man konnte nicht alles haben.
    Darren zerrte an jedem der Bretter. Die meisten waren schlecht fixiert. Er selbst hatte – im Rahmen seiner Möglichkeiten – beim Zimmern dafür gesorgt, dass die Nägel nicht unnötig fest saßen. Es hätte ihm gelingen können, den Sarg von innen zu zerlegen, wenn ihm genügend Raum zum Wuchten und Hebeln zur Verfügung gestanden hätte. Und wenn nicht jeder Fortschritt in dieser Richtung bedeutet hätte, der Erde beim Nachrutschen zu helfen.
    In einer Situation wie dieser gab es keine technische Lösung. Es gab keine Strategie. Er war zum Ersticken verurteilt, umso früher, je verbissener er arbeitete. Im Gegensatz zu seinem Abenteuer der Weltumrundung, bei der er sich gewissermaßen an mysteriösen, halbrealen Handlungsfäden durch Erzählungen der Weltliteratur gehangelt hatte, war dies die reine, pure Wirklichkeit. Dies war nicht Edgar Allan Poes „Premature Burial“ (das vor drei oder vier Jahren erschienen sein musste, wenn er sich nicht irrte), dies war Sir Darren Edgars höchstpersönliches vorzeitiges Begräbnis ohne das Happy End der Poe-Geschichte, eine Horrorstory, die so böse ausgehen würde, wie sich das gehörte.
    Natürlich hatte Darren nicht vergessen, dass es neben dieser Welt noch eine andere gab, dass es ihm in seinem Leben als Fachmann für Spiritismus im 20. und 21. Jahrhundert immer wieder gelungen war, Kontakt zur Welt der Toten aufzunehmen, Botschaften von dort zu empfangen und die Seelen der Verstorben sogar für Momente ins Diesseits zu rufen. Natürlich fühlte er sich jener anderen Welt in diesen Minuten des bevorstehenden Todes besonders nahe und unternahm mehrere Versuche, die Verbindung herzustellen.
    Allein, es funktionierte nicht.
    Es mochte damit zu tun haben, dass er sich außerhalb seiner eigenen Lebenszeit bewegte. Seine Bemühungen, dort drüben jemanden zu erreichen, blieben ohne Reaktion. Er, der große Spiritist, war allein in einer durch und durch materiellen Welt ohne Geister und Seelen, ohne Magie und Okkultes. Was hier zählte, das waren Goldstaub und Bleikugeln. Altes Holz, tote Erde und eine Lunge, die Sauerstoff in Kohlendioxid verwandelte und sich damit selbst vergiftete.
    Darren schloss die Augen und konzentrierte sich auf seinen Atem. Wie lange war er schon begraben? Eine Stunde? Er dachte an Falkengrund, und als sein Gehirn zu fantasieren begann, sah er seine Dozenten-Kollegin Margarete Maus auf einem Hexenbesen heranreiten und ihn befreien.
    In die Halluzinationen mischten sich Geräusche. Die Empfindung reichlich nachrutschender Erde. Ein Beben in rhythmischen Abständen. Er konnte darüber nicht mehr nachdenken. Das große alte Gehirn von Sir Darren, das zweimal fünfzig Jahre in verschiedenen Zeiten gelebt hatte, hatte nun aufgehört zu wissen, zu analysieren und zu interpretieren. Es konnte nur noch ein paar Reize wahrnehmen, mehr nicht.
    Stimmen. Und Schmerzen. Etwas Schweres landete auf seinen Beinen. Bretter brachen, wurden von außen aufgehebelt und fortgeschleudert. Die Nachtluft strömte wie glühende Lava in seine Lungen. Jemand griff ihn unter den Achseln, hob ihn hoch. Er versuchte zu stehen, doch seine Füße rutschten weg.
    Es dauerte lange, bis ihm der Gedanke kam, gerettet worden zu sein. Eine kleine Ewigkeit lag er am Rande des Grabes, spürte seine Lungen und seine Hautabschürfungen am ganzen Leib. Die Kartoffelpusteln, die noch nicht abgefallen waren, wurden beinahe zärtlich von einer fremden Hand abgepflückt. Wem immer diese Hand gehörte, er fürchtete sich nicht vor den falschen Pocken. Durchschaute den Schwindel.
    Cassel? Hatte der alte Halunke ihn doch noch herausgeholt? Hatte er vielleicht lediglich die Zeit unterschätzt, die ein Mann in einem Sarg atmen konnte?
    Während seine Ohren wunderbar funktionierten, kehrte sein Sehsinn nur allmählich zurück. Es mochte auch damit zusammenhängen, dass tiefste Nacht herrschte. Es
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